Alfons Schilling: “Ich wollte das Sehen verändern” | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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19
Feb

Alfons Schilling: “Ich wollte das Sehen verändern”

1956: Wien Westbahnhof. Ein junger Schweizer auf der Suche nach einer günstigen Bleibe. Anruf in einer Pension: “Haben Sie ein Zimmer für zwei Personen? Können Sie es bitte für Schilling reservieren.” Entrüstete Antwort: “Na sicher für Schilling. Was glauben Sie denn, für was sonst?” Das, sagt Alfons Schilling, war nur das erste von vielen Missverständnissen mit seinem Namen in einer Stadt mit Schilling-Währung. Und in die der Künstler, Filmemacher, Sehmaschinenerfinder, Kunstrevolutionierer eher durch Zufall geraten war.

Geboren 1934 in Basel, hörte er zwar schon als Kind im Radio am liebsten den Österreich-Sender - sehr zum Missfallen seiner Mutter, die bei Mozart-Musik immer gerufen hätte: “Dreh um Gottes willen diese Katzenmusik aus.”

Doch nach der Banklehre, die er seinen Eltern zuliebe absolviert hatte, wollte er eigentlich nach London auf das Royal College of Art. Während er auf die Antwort aus London wartete, überredete ihn ein Freund, der bei Roland Rainer studieren wollte, es doch in Wien zu versuchen. Alfons Schilling schrieb ein Bewerbungsschreiben an die Hochschule für angewandte Kunst: “Da gab es keine Wartezeit. Ich wurde sofort aufgenommen. Man war ja froh, wenn überhaupt jemand zum Studieren kam.” Unter seinen Mitstudenten in der Meisterklasse von Eduard Bäumer: Günter Brus. Die beiden flogen übrigens bald von der hohen Kunstschule oder, so die nettere Lesart, verließen sie freiwillig und machten Schluss mit der akademischen Malerei. Der Rest ist zeitgenössische österreichische Kunstgeschichte.

Gemeinsam mit Brus begründete Schilling 1959 die Aktionsmalerei, aus Kostengründen bearbeiteten die beiden Tafelbild-Sprengmeister Packpapier statt Leinwand, zogen es auf drei mal drei Meter große Dachlatten auf. Otto Muehl stieß bald dazu, Hans Niederbacher, Hermann Nitsch, doch während die Aktionisten immer mehr und immer radikaler mit dem eigenen Körper experimentierten, stellte Schilling den Akt des Sehens ins Zentrum seiner künstlerischen Untersuchungen.

Idee der Unendlichkeit

Er versetzte das Bild in Bewegung, trug die Farbe auf rotierende Scheiben auf - das waren durchaus performative Prozesse. Doch was ihn interessierte, war nicht so sehr der aktionistische, sondern der dynamische Aspekt. Und die Idee von der Unendlichkeit des Bildes: “Ich konnte mich stundenlang mit den Drehbildern beschäftigen, mit den sich verschlierenden Farben. Oft, wenn ich einen Kübel Wasser in die Mitte geschüttet habe, ist das Papier zerrissen und in alle Richtungen geflogen. Auch dieses Zerstören hat mir gefallen.”

Diese Rotationsbilder sind auch in der Jubiläumsausstellung bei Essl zu sehen, großteils stammen sie aus der hauseigenen Sammlung - ebenso wie Werke aus den Linsenraster-Foto-Zyklen: Mehrere Bilder werden dank einer speziellen Technik übereinandergelagert, die, je nach Blickwinkel, wieder einzeln gesehen werden können.

Lebenslanger Grenzgänger

Entwickelt hat er die an die Holografie erinnernde Fototechnik in New York. Ende der 1960er-Jahre war er, nach einem mehrmonatigen Zwischenstopp in Paris, in den Big Apple gekommen - mit einem Touristenvisum. Eigentlich hatte er nur einige wenige Monate bleiben wollen. Geworden sind es letztlich fast zwanzig Jahre.

Alfons Schilling, lebenslanger Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft: “Ich wollte etwas machen, was sonst niemand macht. Ich bin draufgekommen: Alle verändern das Bild. Aber niemand verändert den Blick. Ich wollte das Sehen verändern.” Und den Blick erweitern.

Zum Beispiel mit seinen 3-D-Bildern, deren farbräumliche Raffinesse sich erst erschließt, wenn man sie durch ein Prismamonokel betrachtet.

Oder die Stereobilder: “Anfangs habe ich sie einfach nebeneinander gehängt mit der Erklärung, man müsse die Augen überkreuzen. Das hat natürlich niemand getan.” Also erfand er, quasi als Nebenprodukte seiner Farb-Raum-Experimente, seine Sehmaschinen: hölzerne Konstruktionen, deren Schönheit an da Vincis kühne Geräte erinnert; kleinformatige Sehmaschinen für den Ausstellungsgebrauch und riesige Apparate für dreidimensionale Wahrnehmungsexperimente im öffentlichen Raum.

Überhaupt: “Der Blick ist eine Obsession. Schon als Kind hatte ich ein paar Mal dieses Seh-Erlebnis gehabt. Einmal, als ich eine Nachbarin beim Kehren beobachtet habe. Ich sah nur die Bewegung. In Slowmotion. Ich hatte Gänsehaut vor Glück.” Umso bitterer, dass er, der Seh-Spezialist, der vor drei Jahren an Parkinson erkrankte, nun wegen eines fortschreitenden Augenleidens immer schlechter sehen wird.

1986 war Alfons Schilling wieder nach Wien zurückgekehrt, “weil ich gemerkt habe, dass ich ein Europäer bin”. Und weil Wien, wie er sagt, seine Schicksalsstadt ist. Obwohl, andererseits, er überzeugt ist, dass alles, was er gemacht hat, nur in Amerika möglich war. Und dass seine Arbeit nicht hierher passt. Was spätestens mit der Geburtstagsausstellung bei Essl zu widerlegen ist. (Andrea Schurian / DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2009)

Bis 9. 8. Essl Museum Klosterneuburg, Alfons Schilling zum 75. Geburtstag. Eröffnung 19.2.,  19.00.

 

Alfons Schilling: “Ich wollte das Sehen verändern”

1956: Wien Westbahnhof. Ein junger Schweizer auf der Suche nach einer günstigen Bleibe. Anruf in einer Pension: “Haben Sie ein Zimmer für zwei Personen? Können Sie es bitte für Schilling reservieren.” Entrüstete Antwort: “Na sicher für Schilling. Was glauben Sie denn, für was sonst?”

Das, sagt Alfons Schilling, war nur das erste von vielen Missverständnissen mit seinem Namen in einer Stadt mit Schilling-Währung. Und in die der Künstler, Filmemacher, Sehmaschinenerfinder, Kunstrevolutionierer eher durch Zufall geraten war.

Geboren 1934 in Basel, hörte er zwar schon als Kind im Radio am liebsten den Österreich-Sender - sehr zum Missfallen seiner Mutter, die bei Mozart-Musik immer gerufen hätte: “Dreh um Gottes willen diese Katzenmusik aus.”

Doch nach der Banklehre, die er seinen Eltern zuliebe absolviert hatte, wollte er eigentlich nach London auf das Royal College of Art. Während er auf die Antwort aus London wartete, überredete ihn ein Freund, der bei Roland Rainer studieren wollte, es doch in Wien zu versuchen. Alfons Schilling schrieb ein Bewerbungsschreiben an die Hochschule für angewandte Kunst: “Da gab es keine Wartezeit. Ich wurde sofort aufgenommen. Man war ja froh, wenn überhaupt jemand zum Studieren kam.” Unter seinen Mitstudenten in der Meisterklasse von Eduard Bäumer: Günter Brus. Die beiden flogen übrigens bald von der hohen Kunstschule oder, so die nettere Lesart, verließen sie freiwillig und machten Schluss mit der akademischen Malerei. Der Rest ist zeitgenössische österreichische Kunstgeschichte.

Gemeinsam mit Brus begründete Schilling 1959 die Aktionsmalerei, aus Kostengründen bearbeiteten die beiden Tafelbild-Sprengmeister Packpapier statt Leinwand, zogen es auf drei mal drei Meter große Dachlatten auf. Otto Muehl stieß bald dazu, Hans Niederbacher, Hermann Nitsch, doch während die Aktionisten immer mehr und immer radikaler mit dem eigenen Körper experimentierten, stellte Schilling den Akt des Sehens ins Zentrum seiner künstlerischen Untersuchungen.

Idee der Unendlichkeit

Er versetzte das Bild in Bewegung, trug die Farbe auf rotierende Scheiben auf - das waren durchaus performative Prozesse. Doch was ihn interessierte, war nicht so sehr der aktionistische, sondern der dynamische Aspekt. Und die Idee von der Unendlichkeit des Bildes: “Ich konnte mich stundenlang mit den Drehbildern beschäftigen, mit den sich verschlierenden Farben. Oft, wenn ich einen Kübel Wasser in die Mitte geschüttet habe, ist das Papier zerrissen und in alle Richtungen geflogen. Auch dieses Zerstören hat mir gefallen.”

Diese Rotationsbilder sind auch in der Jubiläumsausstellung bei Essl zu sehen, großteils stammen sie aus der hauseigenen Sammlung - ebenso wie Werke aus den Linsenraster-Foto-Zyklen: Mehrere Bilder werden dank einer speziellen Technik übereinandergelagert, die, je nach Blickwinkel, wieder einzeln gesehen werden können.

Lebenslanger Grenzgänger

Entwickelt hat er die an die Holografie erinnernde Fototechnik in New York. Ende der 1960er-Jahre war er, nach einem mehrmonatigen Zwischenstopp in Paris, in den Big Apple gekommen - mit einem Touristenvisum. Eigentlich hatte er nur einige wenige Monate bleiben wollen. Geworden sind es letztlich fast zwanzig Jahre.

Alfons Schilling, lebenslanger Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft: “Ich wollte etwas machen, was sonst niemand macht. Ich bin draufgekommen: Alle verändern das Bild. Aber niemand verändert den Blick. Ich wollte das Sehen verändern.” Und den Blick erweitern.

Zum Beispiel mit seinen 3-D-Bildern, deren farbräumliche Raffinesse sich erst erschließt, wenn man sie durch ein Prismamonokel betrachtet.

Oder die Stereobilder: “Anfangs habe ich sie einfach nebeneinander gehängt mit der Erklärung, man müsse die Augen überkreuzen. Das hat natürlich niemand getan.” Also erfand er, quasi als Nebenprodukte seiner Farb-Raum-Experimente, seine Sehmaschinen: hölzerne Konstruktionen, deren Schönheit an da Vincis kühne Geräte erinnert; kleinformatige Sehmaschinen für den Ausstellungsgebrauch und riesige Apparate für dreidimensionale Wahrnehmungsexperimente im öffentlichen Raum.

Überhaupt: “Der Blick ist eine Obsession. Schon als Kind hatte ich ein paar Mal dieses Seh-Erlebnis gehabt. Einmal, als ich eine Nachbarin beim Kehren beobachtet habe. Ich sah nur die Bewegung. In Slowmotion. Ich hatte Gänsehaut vor Glück.” Umso bitterer, dass er, der Seh-Spezialist, der vor drei Jahren an Parkinson erkrankte, nun wegen eines fortschreitenden Augenleidens immer schlechter sehen wird.

1986 war Alfons Schilling wieder nach Wien zurückgekehrt, “weil ich gemerkt habe, dass ich ein Europäer bin”. Und weil Wien, wie er sagt, seine Schicksalsstadt ist. Obwohl, andererseits, er überzeugt ist, dass alles, was er gemacht hat, nur in Amerika möglich war. Und dass seine Arbeit nicht hierher passt. Was spätestens mit der Geburtstagsausstellung bei Essl zu widerlegen ist.

DER STANDARD, Printausgabe, 19.2.2009

Bis 9. 8. Essl Museum Klosterneuburg, Alfons Schilling zum 75. Geburtstag. Eröffnung 19.2.,  19.00.

 

 



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