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Sep
André Heller: Erinnerungen an einen Menschenimitator
“Hätte ich eine Visitenkarte, was ich aber nicht habe”, sagt Helmut Qualtinger in einem Interview, “würde ich mich als Menschenimitatorr vorstellen.”
Kostbare Fundstücke hat André Heller aus den Archiven geborgen: rare Filmsequenzen, Ausschnitte aus Kabarettprogrammen und Theateraufführungen, Lesungen, Interviews mit Qualtinger selbst und Weggefährten wie Gerhard Bronner, Michael Kehlmann, Fritz Wotruba, Otto Kobalek. Er hat diese Zeitdokumente um berührende Erinnerungen von Qualtingers Witwe Vera Borek, Sohn Christian Qualtinger und Lebensbegleitern wie Erni Mangold bereichert sowie mit analytischen Rückblicken der “jetzigen Hausgötter” Josef Hader und Franz Schuh versetzt.
“Er war viele Jahre mein verlässlicher Freund, aber, wie ich glaube, allzu selten sein eigener”, schreibt Heller im Vorspann zu seiner neunzigminütigen, sehr persönlichen Hommage an Helmut Qualtinger, der am 29. September 1986 starb, wenige Tage vor seinem 58. Geburtstag am 8. Oktober. Dieser Film sei eine Bringschuld seit 25 Jahren, eine späte Danksagung zu einem Zeitpunkt, “da das Bild von einem Zentralgestirn meiner Jugend zu verblassen beginnt und junge Menschen teilweise gar nicht mehr wissen, wer Helmut Qualtinger war. Sie verwenden zwar in ihrem Sprachschatz noch ein paar seiner Formulierungen, ohne aber deren Urheber zu kennen.”
Rot-weiß-rote Psychohygiene
Einen virtuosen Sprachkünstler ruft Heller wieder in Erinnerung, einen sensiblen Künstler, einen genialen Schauspieler und vor allem auch einen politischen Klardenker von bis heute erschreckender Brisanz: “Auch in der Leitung einer Zeitung hab’ ich einen guten Freund, der hilft mir sehr; auch in einer Bank kennt man mich jahrelang - so macht man heutzutag’ Karrier’ … Charakter ist ein Luxus, darum bin ich einmal dies und einmal das …” sang Qualtinger in seinem Lied Der Arrivierziger, als habe er den Umgang des derzeit handelnden Politpersonals vorhergesehen.
“Qualtinger war der Erste, der in der zweiten Republik mit den Mitteln von Medienkunst rot-weiß-rote Psychohygiene betrieben hat. Und er diente zahlreichen anderen als Anregung für Eigenes. Viele klug reflektierende, schmerzhafte Geschichte nicht verdrängende, österreichkritisch arbeitende Schriftsteller, Liedermacher, Filmemacher, Fernsehmacher hätte es ohne Qualtinger so nicht gegeben”, sagt Heller. “Er ist die Quelle, aus der sich ein breiterer Strom ableiten konnte.”
1951 narrte Qualtinger als Eskimodichter Kobuk die heimische Presse, alle eilten herbei, um jenen Schriftsteller kennenzulernen, der die Eisrevue nach Grönland bringen wollte und Lesungen aus seinem jüngsten Werk Das brennende Iglu versprach. Heller selbst hat das “in allen künstlerischen Lagern hochverehrte Wundertier” durch H. C. Artmann kennengelernt: “Ich war damals heilfroh, Menschen zu begegnen, die mich ermutigten: Weil ich Ö3 mitbegründet hatte, war ich aus der Gnade einiger Hawelka-Titanen gefallen. Die hielten mein plötzliches Popstartum für einen Verrat an den heiligen Grundsätzen der Avantgarde”.
Der Zuspruch Qualtingers, mit dem Heller auch mehrere Platten gemeinsam besungen hatte, sei ihm besonders kostbar gewesen. Viele alkoholdurchtränkte Nächte und Tage und wieder Nächte wäre man gemeinsam durch die Stadt gezogen: “Wir waren so entsetzlich heftig und selbstverletzend unterwegs. Diese Art von Leben ist eine Bestellung auf Untergang.”
Treuer Besucher
Ihm selbst habe, so paradox es klingen mag, eine Gelbsucht das Leben gerettet. Ein Dreivierteljahr lag Heller nach einer Muschelvergiftung, die er sich auf der Hochzeitsreise mit Erika Pluhar zugezogen hatte, im Rudolfinerhaus. Einer seiner treuesten Besucher: Helmut Qualtinger. “Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ein damals offizielles Genie, das als Kultfigur durch die Wiener Gassen ging, setzt sich jeden Nachmittag für zwei, drei Stunden zu einem jungen Buben ans Spitalbett und sagt: ,Wenn du zu schwach bist zu lesen, les’ ich dir eben vor.’”
So tröstlich diese Besuche damals waren, so trostreich waren für Heller heuer im Sommer auch die filmischen Wiederbegegnungen mit seinem Freund: “Der Qualtinger war tatsächlich, als ich Trost brauchte, auf magische Weise verlässlich da. Das fand ich, wie so vieles, bezaubernd von ihm.”
Sein Vater wollte “nicht ganz schiach sein und blad”, räsoniert Sohn Christian Qualtinger einmal im Film, “sondern ein gutaussehender junger Mann. “Das ist ihm nicht gelungen. Aber schöne Frauen hat er schon hie und da derrennt.” Zweimal war Qualtinger verheiratet, in erster Ehe mit der Schriftstellerin und Journalistin Leomare Seidler, 1982 bis zu seinem Tod mit Schauspielkollegin Vera Borek. Sie habe oft an die Witwenverbrennung in Indien gedacht, sagt Borek: “Schlimmer ist, 25 Jahre ohne ihn zu leben.” ( DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2011)