André Heller: “Meinem Vater habe ich schon längst vergeben” | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

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03
Mrz

André Heller: “Meinem Vater habe ich schon längst vergeben”

Ein  Gespräch über Verwerfungen und Reue.

In Wirklichkeit ist das Buch, das Christian Seiler über den “Feuerkopf” André Heller geschrieben hat, nur in zweiter Linie eine berührend ehrliche Biografie eines Mannes mit vielen Talenten, ein politisch wie künstlerisch erhellendes Zeitdokument. Denn was immer seine Gegner ihm vorwerfen mögen: Feige war André Heller nie, weder was seine politischen Einmischungen noch was seine künstlerischen Unternehmungen angeht. Genau deshalb aber ist es vor allem ein Ermutigungsbuch für junge Menschen. Und ein wichtiger Erziehungs ratgeber für Eltern, die nach der Lektüre ihren verhaltensoriginellen, rebellischen, fantasiebegabten und großmannsüchtigen Kindern gegenüber sehr wahrscheinlich wieder mehr Vertrauen entgegenbringen.

Es besteht ja Hoffnung, dass die jugendlichen Grenzüberschreiter und Schulschwänzer irgendwann auch einmal Heller von Beruf werden: Moderator, Schriftsteller, Musiker, Sänger, Regisseur, Erfinder, Filmemacher, Zirkusdirektor, Landschaftsgestalter, Menschenliebhaber, Weltreisender, Seelenheiler, Fantasiemeister.

Doch der Weg vom Großbürgersohn zum weisen Weltenbürger bestand nicht nur aus prächtigem Feuertheater und atemberaubendem Kunstrummel, aus Zuneigung, Zirkuskuppeln, fliegenden Menschen, schönen Gärten und Applaus. Er ist vielmehr mit Verwerfungen und Verwirrungen gepflastert, mit der Sucht nach Drogen, Alkohol und schönen Frauen; mit Arroganz und Megalomanie; mit Depression, Unsicherheit, Misserfolgen und Versagensängsten. Es sind keine effekthaschenden Heldengeschichten oder gar peinliche Outings, sondern, wie Heller sagt, “Sprossen einer Leiter, die mich in ein anderes Bewusstsein gebracht haben.”

Schurian: Arrogant, lieblos, selbstzerstörerisch: Das Buch ist ziemlich offenherzig. Ist man nicht versucht, von sich ein geschönteres, sympathisches Bild zu geben?

Heller: Entweder man redet Tacheles oder man hält den Mund. Natürlich stehen zahlreiche Ereignisse nicht in dem Buch, es ist ja kein Offenbarungseid. Aber was drinsteht, entspricht den Tatsachen. Meine Entwicklung hat mich so viel Kraft und Weinen und Schreien und Stummsein und Ratlosigkeit gekostet, dass es doch vollkommen armselig wäre, es nicht zuzugeben. Die Wahrheit ist das einzig wirklich Interessante. Wenn man üblicherweise über sein Leben nachdenkt, betrachtet man gewisse Aspekte.

Man sieht ja nie das ganze große Bild auf einmal, aber wenn dir dann 65 Jahre innerhalb von 24 schlaflosen Stunden auf 450 Seiten durch den Kopf rasen, überkommt einen schon eine Art Dämonenspringflut. Immerhin auch die Erkenntnis, dass ich meine Zeit und Ausbildung nicht geschwänzt hab. Wenn ich manchmal versucht war, davonzulaufen, bin ich doch mit zitternden Knien stehengeblieben und habe die Herausforderungen angenommen. Ob die Figur sympathisch ist? Vielen über weite Strecken vermutlich nicht. Aber ich konnte es zum jeweiligen Zeitpunkt eben nicht besser.

Schurian: Wie sehr haben Ihre Knie gezittert, als Sie als Internatszögling aus Bad Aussee schnurstracks ins Büro des steirischen Landeshauptmannes gegangen sind und sich über Burschenschafter beschwerten?

Heller: Ich habe es damals nicht als Mut wahrgenommen. Und aus heutiger Sicht war es eine rührend naive Aktion. Ich war überzeugt, wenn ich im Büro vom Landeshauptmann erzähle, dass die singen: “Die Gaskammern waren zu klein, wir bauen größere später, da kommt ihr alle hinein”, würde das blitzartig verboten werden. Ich dachte, die hohen Herren wissen das nicht, ich sag’s ihnen, und damit ist die Sache erledigt. Aber das Einzige, was erledigt war, war ich.

Schurian: Damals haben Sie sich auch das erste Mal mit Ihren jüdischen Wurzeln beschäftigt.

Heller: In dem Internat, wo der Direktor ein ehemaliger Obersturmbannführer und die rechte Hand des Nazi-Massenmörders Kaltenbrunner war, musste ich mich zwangsläufig der Familiengeschichte stellen. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich nie davon gehört, dass mein Vater von den Nazis als Jude verfolgt wurde. Selbst als ich meine geliebte Großmutter gefragt habe, ob mein Vater aus einer jüdischen Familie stammt, hat sie geantwortet: “Red nicht so einen Blödsinn!” Es ist traurig, was bei uns alles als Tabu galt!

Schurian: Ermöglichte Ihre großbürgerliche Herkunft nicht ein freies Denken?

Heller: Im Gegenteil. Ich habe das Großbürgerliche bei uns zu Hause immer als hochmütig, arrogant und gleichzeitig als eng empfunden. Ich ging in die Volksschule gemeinsam mit Kindern von ausgebombten Familien, die noch in Zelten auf dem Küniglberg lebten und über offenem Feuer kochten. Das berührte mich, denn ich sah, das sind in aller Not sehr solidarische Menschen, die einander trösten und ermutigen, zuhören können und lachen und jedes Essen wie ein Fest erleben.

Ich empfand es nicht als großen Wert, mit Chauffeur und Kindermädchen aufzuwachsen. Die Herzensbildung, die Fürsorge, die Liebe - all das imponierte mir mehr. Als ich meinem Vater sagte, dass ich auch gern so leben würde, hab ich natürlich eine unglaubliche Watschen gefangen. Aber ich wusste: Zum Fabrikanten bist du nicht geschaffen. Du musst den Wünschen deiner Seele treu sein und Abenteurer werden.

Schurian: Können Sie das Ihren Eltern verzeihen?

Heller: Meinem Vater habe ich schon lange vergeben. Ich bin ihm vielmehr dankbar, dass er mir ein eindrucksvolles Beispiel dafür war, wie es nicht sein sollte. Mit meiner Mutter konnte ich mich Gott sei Dank schon zu Lebzeiten völlig aussöhnen. Sie ist jetzt bald 98, weicher, zärtlicher, dünnhäutiger, ja, durchlässiger geworden. Wir tun uns zwar immer noch schwer beim Umarmen. Aber wir sagen einander unverlogen, wie sehr wir uns lieb haben. Vor dem Satz “Ich liebe dich” hat sie aber immer noch Scheu.

Schurian: Aber die Tatsache, dass sie sich drei Tage als Ihre Kunstinstallation in die Secession gesetzt hat, war doch eine unglaubliche Liebesbezeugung.

Heller: Ja, ich habe jeden Grund, dankbar anzuerkennen, was sie für mich geleistet hat. Sie litt immer Ängste um meine Existenz - und hat dabei für mich gelegentlich ihre eigene aufs Spiel gesetzt: Einmal hat sie für eines meiner Projekte ihr Haus verpfändet, was mir damals in meiner Arroganz völlig selbstverständlich erschien. Auch in der Secession war sie wirklich grandios tapfer. Ich habe ihr gesagt: “Du kriegst ein Podest und Kordeln als Absperrung um dich herum. Der Zilk wird eröffnen, du sitzt mit dem Schild ,Mutter des Künstlers‘ auf einem goldenen Sesserl, und wenn dich ein Besucher was fragen will, dann antwortest du bitte.” Ich fand das damals eine ziemlich radikale Aktion, aber es war in gewisser Weise auch eine Schändung, die sie mir nobel verziehen hat.

Schurian: Wie konnten Sie Ihrerseits Roy Lichtenstein und David Hockney für eine verhältnismäßig geringe Gage zur Mitarbeit an Ihrem Kunst-Rummel “LunaLuna” gewinnen?

Heller: Ich wusste, dass jeder Kunstgroßfürst, den ich anspreche, selbst einmal ein Kind war und gute Erinnerungen an den Luna-Park seiner frühen Jahre haben würde. Sie wollten dann tatsächlich alle mitarbeiten - als Reverenz an diese Kindheitsseligkeiten. Man soll sich ruhig trauen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass man nach einer Weltumrundung nach Hause kommt und gestehen muss: “Niemand hat mein Angebot akzeptiert.” Aber das wäre doch auch eine kostbare Erfahrung.

Schurian: Bereuen Sie etwas in Ihrem Leben?

Heller: Das wäre ja ganz lächerlich! Man muss sich auch mit den Verwerfungen seiner Wege solidarisieren. Was soll ich jetzt dem 23-jährigen Drogennarren oder dem hybrisgesteuerten 32-Jährigen eine sinnlose retrospektive Hölle anheizen, weil er es damals nicht besser gekonnt hat? Ich war nie sehnsüchtig, ein Idiot zu sein, und immer um Wunderbares bemüht. Herausgekommen ist trotzdem allzu häufig eine Idiotie oder Irrlichterei. Mein Bewusstsein war eben noch zu nieder.

Moment: Es gibt doch eine kleine Nebensache, die im Buch gar nicht vorkommt, zu der mir das Wort Reue in den Sinn kommt: Beim Sortieren alter Korrespondenzen fiel mir ein handgeschriebener, bezaubernder Brief von Hildegard Knef vor die Augen: Sie würde gerne mit mir arbeiten. Dass ich es nicht getan habe, war ein Fehler. Ich kann mir nicht erklären, warum ich nicht ins nächste Flugzeug in ihre Richtung gestiegen bin, wenn mir die Knef, deren Platten ich als 18-Jähriger bewundernd rauf und runter gespielt habe, so etwas anbietet. Derlei sind Blackouts, die ich mir nicht erklären kann. (DER STANDARD, Printausgabe, 5. 3. 2012)

ANDRÉ HELLER (1947 in Wien geboren) ist als Liedermacher, Aktionskünstler, Autor und Schauspieler in Erscheinung getreten. Internationale Erfolge feierte er auch mit der Umsetzung spektakulärer Projekte wie dem “Poetischen Varieté Flic Flac” und der chinesischen Artistenshow “Begnadete Körper”.

  • Christian Seiler: “André Heller. Feuerkopf. Die Biografie”, Verlag C. Bertelsmann, 447 Seiten
  • André Heller: “Wienereien oder ein absichtlicher Schicksalsnarr”, Verlag Christian Brandstätter, 240 Seiten


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