16
Dez
André Heller: Welttheater ohne Netz
Draußen nebeltrübes Mitteleuropa, drinnen im Theater wirbelstürmisches Afrika. Schwingungen, Liebe, Leidenschaft, Energiefelder, Spiritualität, Herzenswärme, Weisheit, Wunder, Erkenntnis, Freude, Dankbarkeit: Ja, diese Worte werden im Gespräch mit dem Universalkünstler André Heller und seinem Choreografen und Freund George Momboye immer wieder fallen, erstaunlich unpathetisch, selbstverständlich. “Die Kunst Afrikas basiert immer auf drei Elementen: dem Spirituellen, dem Körper und dem Herzen”, sagt Momboye, Sohn eines Maskenschnitzers von der Elfenbeinküste und Enkel eines Stammeshäuptlings, der die Magie des Verschwindens beherrschte.
Auch Mamboye fährt seine Antennen bis ins Universum aus, rollt für einen ungestörten Empfang bei den Proben mitunter ein Hosenbein auf, entblößt - oder bedeckt - den Kopf, rituelle Respektsbezeugungen vor den schützenden und helfenden Geistern und Engeln. “Stellen Sie sich vor, was Frank Castorf sich denkt, wenn er hört, man müsse immer im Kontakt sein mit den Engeln des Schöpferischen”, sagt Heller.
“Das ist so ungewohnt, hat aber viel mit dem zu tun, was mich im Leben interessiert. In Afrika ist Kunst fast immer ein Kind der Spiritualität. Kreativität ist ein göttliches Element in dieser - und meiner - Vorstellung. Wir haben ja im Deutschen den wunderbaren Ausdruck des Einfalls: Das fallt ein. Man bittet um Schutz, Hilfe und Auswege - und plötzlich fällt einem die Lösung zu.”
Einige seiner österreichischen Freunde stünden diesen Ansichten sehr skeptisch gegenüber, hielten ihn gar für närrisch oder glaubten, er sei womöglich Mitglied eines esoterischen Geheimbundes, “was ich natürlich nicht im Geringsten bin. Es sind Lebensdestillate. Mich interessiert vor allem: Wie lerne ich durch Freude? Ich bin nicht mitfühlender und herzensgebildeter geworden, weil es mir jemand gesagt hat. Sondern weil ich gemerkt habe, wie schlecht und angstbeladen es mir geht, wenn ich es nicht bin.”
Tradition und Aufbruch
Auch die Beleuchtung ist übrigens Erleuchtung oder umgekehrt: Erleuchtung ist auch eine Sache der richtigen Beleuchtung. Jedenfalls sind die LED-Wände im Bühnenhintergrund für die Afrika Afrika!-Show die weltbesten, Beyoncé hatte sie für sich entwickeln lassen, “wir sind die Zweiten, die sie verwenden dürfen”, sagt Heller nicht ohne Stolz. Abertausende Pünktchen für poetische Licht-, Schatten-, Farben- und Fabelwelten, für Hellers Théâtre Dadaiste.
“Gadji beri bimba” steht einmal da, es ist ein dadaistisches Lautgedicht in erfundenem Afrikanisch von Hugo Ball, das im Cabaret Voltaire in Zürich vorgetragen wurde, wo die Dadaisten regelmäßig auch afrikanische Soireen veranstalteten: “Das ist mein innerer Faden für dieses Projekt: Ich befinde mich im Jahr 1916 und realisiere mit Tristan Tzara und Hugo Ball eine rauschhafte, funkelnde Revue in meinem exzentrischen Privattheater.”
Eine rauschhafte, funkelnde Revue: Zeichentrickfantasien von wilden, zu Comicfiguren aufgeblasenen Tieren, abstrakte Bilder, Videos und Fotos von afrikanischer Fauna und Flora, von Minenarbeitern und Dorfbewohnern bilden einen reizvollen Gegensatz zu den Künstlerinnen und Künstlern, die sich von Momboye auf dem afrikanischen Kontinent und in der Diaspora, in der Karibik, in den Slums von New York, haben entdecken lassen. Und die rappen, mit den Fußsohlen lächeln, in der Luft schweben, turmhoch auf- und übereinander klettern und stürzen können. Die literweise Wasser aus sich sprudeln, die stehend, liegend, gehend, springend Tische, Teller, Schüsseln und Bälle jonglieren, die sich in sich selbst und andere verknoten, saltoschlagend Basketballkörbe werfen, die trommeln, singen, schreien, schreiten, springen, tanzen.
Immer wieder tanzen: auf dem Boden und in der Luft, in wunderschönen afrikanischen Kleidern, in Stammeskostümen und coolen Klamotten, in Plastik-Haute-Couture und Arbeiterkluft, zu Leftboy und African Music, Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit, Tradition und Aufbruch miteinander versöhnend. Und am Ende die Fahnen ihrer Länder zu einem bunten Meereinander schwingend. Dankbarkeit ist spürbar, dass nichts passiert ist. Denn risikolos ist wahrlich nichts in diesem Heller’schen Welttheater ohne Netz. Nicht die Performance - bei der Probe in Bremen rutschte die Stange eines meterhohen Klettergerüstes mitten im Act weg, nur der meisterlichen Körperbeherrschung der Artisten war es zu verdanken, dass es beim Schrecken blieb; risikolos ist auch die Finanzierung nicht. Nach dem Fiasko des Impresarios Marcel Avram mit der Pferdeshow Magnifico wird nun Afrika Afrika! von Hellers Manager Robert Hofferer selbst produziert.
Theater statt Zelt
Die Show sei, weist Heller diesbezügliche Anfragen geradezu brüsk von sich, nicht nur ein Aufwärmprogramm der Erfolgsshow gleichen Namens, die zwischen 2006 und 2009 durch die Welt tourte. So wird diesmal nicht mit eigenem Zelt gereist, denn, Heller: “Ich bin ja ein Theatertier. Was man hier mit Licht und Hintergründen und schnellen Wechseln machen kann, ist im Zirkuszelt nicht möglich. Außerdem können wir kürzere Gastspiele in kleineren Städten geben. Mit dem Zelt mussten wir, nicht zuletzt der gigantischen Kosten wegen, mindestens ein- bis eineinhalb Monate an einem Ort bleiben.” Damals dauerte die Tournee eineinhalb Jahre am Stück, jetzt ist - “um Lagerkoller oder Heimwehrasereien zu vermeiden” - nach sechs Monaten Pause. Dickson Oppong alias Waterman sei einer der wenigen, die damals schon dabei waren, neunzig Prozent der Artisten sind neu dazugekommen.
George Momboye, der schon die erste Show choreografierte, und Youssou N’ Dour, senegalischer Sänger und Kulturminister, hätten ihn bestürmt, den jungen Künstlern eine Chance zu geben: “Wer bin ich, dass ich diesen Zauberwesen den glühend ersehnten Arbeitsplatz verweigere? Ich musste es schaffen, dieses Projekt zu verwirklichen, damit junge Meister in Würde und unter idealen Bedingungen ihre hohe Qualität verströmen können, um uns zu erstaunen und zu inspirieren.” (Andrea Schurian, DER STANDARD, 16.10.2013)