05
Mai
Anna Badora: “Ich habe kein gut dotiertes Haus übernommen”
Schurian: Was überwiegt: Erleichterung, dass Sie Hürden der ersten Saison bewältigt haben oder Vorfreude auf die nächste Spielzeit?
Badora: Eindeutig die Vorfreude. Ich möchte in der nächsten Spielzeit hauptsächlich auf künstlerischer und inhaltlicher Ebene durchstarten. Auch jetzt schon verzeichnen wir beachtliche künstlerische Erfolge, Lost and Found war auf der Nominierungsliste für das Berliner Theatertreffen. Inszenierungen wie Alte Meister, Nora³, Hakoah Wien und Iwanow oder im Volx/Margareten Ausblick nach oben und Selbstbezichtigung wurden von der Kritik wie vom Publikum hoch bewertet. Aber wir haben nicht nur künstlerisch viel bewegt, sondern auch viele Prozesse struktureller, personeller und finanzieller Art angestoßen, in denen wir ja noch mittendrin sind. Vor zwei Jahren hätte ich selber gesagt: Da nimmst du dir zu viel vor! Aber wenn man ererbte Ordnungen und Strukturen erst mal ein, zwei Jahre akzeptiert hat, kann man sie später nur sehr schwer aufbrechen. Was zu gestalten ist, muss man von Beginn an anpacken.
Schurian: Zuletzt sorgte die Schließung der Werkstätten für Aufregung, die Gewerkschaft befasste den Wiener SP-Landesparteitag damit und behauptete, das Volkstheater sei wirtschaftlich und künstlerisch schlecht geführt.
Badora: In der künstlerischen Einschätzung vertraue ich eher Journalisten als Gewerkschaftern. Ich habe mir die Kritiken zum großen Haus angeschaut: Von neun Premieren wurden fünf extrem gut besprochen, vier kontrovers. Aber das muss Theater auch sein! Das hat nichts mit der Schließung der Werkstätten zu tun, die wurde schon vor langer Zeit diskutiert. Erste Empfehlungen des Rechnungshofs gab es 2008, und vor zwei Jahren wurden die Werkstätten ausgegliedert, um strukturelle Kosten für das Volkstheater wesentlich zu reduzieren. Leider gelang es nicht, eine stabile Kundenbasis aufzubauen.
Schurian: Stimmt es, dass der Sozialplan nur durch Streikdrohung zustande kam?
Badora: Nein, von Streik war nie die Rede! Der Sozialplan ist in bestem Einvernehmen mit dem Betriebsrat zustande gekommen, an keiner Stelle sind die Verhandlungen eskaliert. Natürlich tut es mir um die Werkstätten, vor allem um die betroffenen Kollegen, leid. Und hätten wir genug Geld, würden wir die Werkstätten nicht schließen. Bei meiner Bestellung sprach man, wenn Sie sich erinnern, von einer Mission Impossible. Ich habe kein gut dotiertes Haus übernommen.
Schurian: Wie viel kann durch die Schließung der Werkstätten eingespart werden?
Badora: Rund 400.000 Euro jährlich. Es geht aber auch darum, die Mittel flexibler einzusetzen. Entscheidet sich ein Regisseur gegen ein Bühnenbild, können die Mittel für Medientechnik oder Komponisten verwendet werden. Schon 2008 hat der Rechnungshof die Frage gestellt, warum die Einsparungspotenziale durch Fremdvergaben von damals 25 Prozent nicht genutzt werden, also lange, bevor ich im Volkstheater angetreten bin. Erst jetzt hat der Aufsichtsrat die Maßnahme beschlossen.
Schurian: Die Gewerkschaft verbreitete auch, es gäbe gravierende Einbrüche bei der Auslastung.
Badora: Wir haben aktuell eine Auslastung knapp unter 70 Prozent, und das in allen Spielstätten. Dies ist in einem Korridor, der sich mit den Zahlen der Vergangenheit deckt. Wirtschaftlich ist das kein Absturz, und die Untergriffe am Rande der Verhandlungen zum Sozialplan kommentiere ich nicht. Wir haben eine sehr starke, bis jetzt eher ungewohnte Nachfrage an der Abendkasse. Es findet bis zu einem gewissen Grad ein Publikumsaustausch statt, immer mehr junge Leute kommen zu uns. Natürlich bin ich trotzdem noch nicht zufrieden. Aber auf der ganzen Welt weiß man, dass man für die erste Spielzeit Geduld braucht. Ich bin sicher, dass wir in der zweiten Spielzeit die Auslastung steigern können.
Schurian: Was bedeutet eigentlich die “rote” Tradition des Volkstheaters heute noch?
Badora: Für mich heißt es, wieder zum Ort des gesellschaftlichen Diskurses zu werden, eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweils bestehenden Verhältnissen zu führen. Unsere zweite Saison spiegelt dieses Bestreben wider: In Österreich wird gegenwärtig wieder sehr stark von Gemeinschaft, vom “Wir-Gefühl” geredet; das bedeutet aber auch immer, dass es die anderen gibt, die, die man nicht dabeihaben will, die ausgegrenzt werden. Davon handeln Das Narrenschiff von Katherine Porter und Niemandsland von Yael Ronen ebenso wie Jelineks Rechnitz oder Grillparzers Medea.
Schurian: Wollen Sie mit Theater die Welt verändern?
Badora: Natürlich nicht Stellung beziehen im parteipolitischen Sinne. Aber Bewusstsein für gesellschaftliche Vorgänge schaffen: ja, ganz stark.
Erschienen in Der Standard, 3.5.2016