13
Dez
Cornelius Gurlitt:Unrecht mit Unrecht bekämpfen
Fall Gurlitt zeigt: Wir bewegen uns auf rechtlich schwierigem Terrain
Intrige am Kunstmarkt? Familienfehde (wer hat übrigens bei den anderen Gurlitt-Familienmitgliedern geschaut, was es da an Sammelbeständen gibt)? Sippenhaftung?
Tägliche Hatz vulgo überdosierte Sensationsberichterstattung zu Cornelius Gurlitt, der sich - verdächtig! - nie bis selten auf Familienfesten blicken ließ; der zu Nachbarn - kauzig! - Distanz hielt, unerkannt durch Einkaufszentren streifte und - sein Verhängnis! - mit 9000 Euro in der Manteltasche von München nach Zürich reiste. Letzteres brachte den “Kunstskandal” ins Rollen, seine mehr als tausend Werke umfassende Kunstsammlung wurde bekanntlich beschlagnahmt. (Da hatte Herr Gurlitt Pech, unser ehemaliger schöner Finanzminister transportiert nicht läppische 9000 Euro, sondern prallgefüllte Geldkoffer für die Schwiegermama von hier nach da. Aber das ist eine andere, peinliche Geschichte.)
Nun können wir also erste Reihe fußfrei und mit erhöhtem Unwohlsein miterleben, wie rasant nach einjährigem behördlichem Schockschweigen und staatsanwaltlicher Hilflosigkeit massenmediale Hyperventilation gepaart mit politischen Panikattacken Grundwerte der Demokratie sowie bestehende Gesetze ins Wanken bringt. Man kann es sich dieser Tage jedenfalls nicht oft genug vorsagen: Deutschland ist eigentlich ein Rechtsstaat. Und Cornelius Gurlitt ist Erbe einer Privatsammlung - vor allem “entarteter Kunst”, die von den Nazis in deutschen Museen beschlagnahmt worden war. Vater Hildebrand Gurlitt griff als einer der vier Kunsthändler, die offiziell mit dem Verkauf beauftragt worden waren, selbst fleißig zu. Außer ihm taten dies übrigens führende Museen weltweit, die solcherart ihre Sammlungen der klassischen Moderne begründeten und ausbauten, nicht zuletzt das New Yorker Museum of Modern Art. Restitution wäre eventuell auch dort ein nötiges und lohnendes Forschungsfeld.
Jetzt wurde in Deutschland, endlich, eine Taskforce eingerichtet, auch um den Verdacht zu entkräften, der Staat wolle sich die beschlagnahmte Sammlung nach Gurlitts Tod unter den Nagel reißen. Politiker jeder Coleur informieren und empören sich - ebenso zizerlweise, wie Gurlitts Sammlung öffentlich gemacht wird, um zu klären, ob Werke darunter sind, die Juden weit unter Marktwert abgepresst worden waren. Dies ist juristisch zumindest umstritten. Restitutionsexperten, die unverdächtig sind, Problemfälle unter den Tisch kehren zu wollen, betonen: Nach gültiger Rechtslage können Private Raubkunst haben, so viel sie wollen. Es hänge von Gurlitts gutem Willen ab, ob allfällige Ansprüche befriedigt werden. Zumindest, als er den Verkaufserlös eines Bildes (Max Beckmanns Löwenbändiger) mit den Erben des ursprünglichen Besitzers teilte, hat er ihn bewiesen.
Das hilflose, auf Zuruf reagierende und keineswegs gesetzeskonforme Vorgehen deutscher Behörden zeigt, wie fragil der Boden ist, auf dem wir uns fast siebzig Jahre nach Kriegsende bewegen. Raubkunst gibt es nicht nur in Museen, sondern in großen Privatsammlungen, zu denen man sich Zutritt verschaffen müsste. Wie? Und was ist mit anderen enteigneten Gütern außer Kunst? Wohldurchdachte Gesetzesänderung tut not. Abgesehen davon, dass Deutschland kein mit Österreich vergleichbares Restitutionsgesetz hat, das Museen zur Rückgabe zwingt: Eine rasch zurechtgezimmerte Lex Gurlitt würde nur Ungerechtigkeit mit Ungerechtigkeit bekämpfen. ( DER STANDARD, 16./17.11.2013)