Elfie Semotan: “Ich stehle ungern das Äußere von Menschen” | Andrea Schurian Schurian,Andrea+Schurian,

Andrea Schurian

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10
Mai

Elfie Semotan: “Ich stehle ungern das Äußere von Menschen”

Die österreichische Fotografin Elfie Semotan pendelt zwischen New York und  Wien . Ein Gespräch über Street Photographie, bei einem Spaziergang durch die  Ausstellung “Big City”   im Wien Museum.

Standard: Was sind Ihre Lieblingsplätze in New York?

Semotan: Ich liebe die großen Avenues, die Downtown so schäbig beginnen und zunehmend elegant werden. Oder, so wie auf diesem Foto von John Meyerowitz, die Schwaden, die aus den U-Bahnschächten aufsteigen. Das gibt es nirgends außer in New York. Ich mag Midtown, Hell’s Kitchen, da gibt es Geschäfte, wie es sie in Wien vor 50 Jahren gegeben hat, mit den immergleichen Kleiderschürzen, graubeiger Unterwäsche und Nylonblusen en masse. Ich liebe die Straßen nicht unbedingt ihrer Schönheit, sondern ihrer Eigenheit, ihres Ausblicks wegen. Es gibt Straßen, die verlaufen so gerade, dass man am Ende den Himmel sieht, die sind wahnsinnig schön. Andere verlieren sich im Chaos.

(Sie entdeckt ein Foto von Helen Levitt und lacht) Hendln in New York habe ich noch nie gesehen! Großartig! Das war wahrscheinlich irgendwo in Downtown. New York ist wunderbar, weil es so ungebändigt und unbewältigt ist. Ein bisschen lebt man hier wie im Urwald. Es gibt zivilisiertere Gegenden wie Uptown. Und am anderen Ende der Stadt ist Chinatown, das an allen Ecken und Enden ausufert und seine eigenen Regeln hat.

Standard: Street Photography ist typisch New Yorkerisch …

Semotan: … weil die Leute hier kontaktfreudiger sind. Das Straßenleben ist viel ausgeprägter als in jeder europäischen Stadt. Am Sonntag benehmen sich die New Yorker, als ob sie am Land wären. Ziehen Shorts an, fahren mit dem Rad herum. Bevölkern die Parks wie auf Tod Papageorges Central Park-Fotos. Unter tags war es dort in den 70er-Jahren genauso wenig gefährlich wie heute, nur in der Nacht mied man ihn damals.

Standard: Wen von den hier ausgestellten Street Photographern schätzen Sie ganz besonders?

Semotan: Natürlich Weegee. Dieses Mordspektrum konnte wirklich nur er fotografieren. Großartig auch William Klein, die Bilder schauen eigentlich aus wie Modeofotos, zeigen die Eleganz der 50er Jahre. Oder die abstrakte Qualität Saul Leiters. Robert Frank war der erste Fotograf, dessen Arbeiten ich wirklich geliebt habe. Er wurde auf eine radikale Art immer persönlicher. Er verlor beide Kinder, die Tochter starb bei einem Flugzeugabsturz, der Sohn nahm sich das Leben. Dieses Aufgelöste, das Fragmentarische seiner Fotos und Filme ist, wie ich meine, die Folge davon. Er ist einer der Größten. Ja, und Ted Croners mehrfach belichtetes Foto Taxi Tonight nahm bekanntlich Bob Dylan als Plattencover.

Standard: Was mussten denn die New Yorker Street Photographer haben, abgesehen von einer handlichen Leica? Besondere Unverfrorenheit? Einen besonders schnellen Blick?

Semotan: Das auch, ja. Prinzipiell muss man entschlossen sein zu machen, was man machen will. Es gehört der Wille dazu, einfach irgendwo einzudringen, auch unerwünscht zu sein und sich darüber hinwegzusetzen. Das ist nicht unbedingt das, was ich gern mache. Ich stehle ungern Fotos, ich stehle ungern das Äußere von Menschen. Hier zum Beispiel: Diane Arbus hat dieses Kinderpärchen sicherlich so hingestellt. Das würde ich auch machen. Das sind keine Schnappschüsse; ich finde es schön, wenn es ein bisschen inszeniert ist.

Standard: So gesehen sind einige Ihrer Modeshootings dann auch eine Art inszenierte Street Photography: Abendmode vor Graffitis am Donaukanal beispielsweise. Oder Models auf der Rolltreppe in der Grand Central. Oder Helmut Lang in einer ziemlich schäbigen Ecke Manhattans.

Semotan: Ja, das war für ein Foto für die Zeit. Als die Redakteure die Location sahen, waren sie entsetzt, sie erkannten die Schönheit des Platzes nicht: Von diesem Hinterhof einer Autoreparaturwerkstätte hatte man die Skyline im Blick.

Standard: Sind diese Altmeister hier inspirierend für Ihre eigene Arbeit?

Semotan: Zum Beispiel dieses wunderbare Drehtür-Foto von Lee Friedlander aus den 1950ern: So ein Setting habe ich auch für ein Modeshooting verwendet und ein Model durch die Drehtür gehen lassen. Oder Friedlanders Spiegelung im Autorückspiegel: So habe ich auch schon Mode fotografiert. Man versucht, dem System zu entrinnen, indem man Dinge in einen anderen Zusammenhang bringt.

Standard: Wie wichtig ist der Zufall beim Fotografieren?

Semotan: Bei der Street Photography spielt der Zufall sicherlich eine größere Rolle als für mich. Als ich mit der Modefotografie anfing, wollte ich immer den schönsten Moment herauskitzeln. Aber jetzt arbeite ich lieber konzeptuell. Das Erhaschen des schönsten Augenblicks mag ich nicht mehr so besonders - auch, weil ich denke, dass es nicht erlaubt ist, nur zu warten, bis sich etwas Schönes abspielt. Man muss schon Ideen entwickeln, mit der Fotografie eingreifen in das Geschehen.

Standard: Ist Street Photography ein historisches Phänomen?

Semotan: Naja, Lorca di Corcia inszeniert heute noch Street Photography. Aber im Prinzip ist das heute nicht mehr so machbar, das war das damals eine ganz andere Zeit. Das Fotografieren war aufregend - für die Leute und für die Fotografen. Heute haben die Menschen Angst, dass sie für Werbung missbraucht werden. Man könnte nicht, wie Walker Evans, in der U-Bahn einfach Leute knipsen. Wahrscheinlich nicht einmal heimlich. Street Photography würde heute ganz anders ausschauen: z.B. nur Ansichten von hinten. Oder nur Frisuren. Oder (lacht): Ich würde gern in Wien fotografieren, wenn alle ihre Pelzhauben hervorkramen. New York ist die Stadt der Mützen, weil es immer so windig ist. Aber diese Pelzhaubenkultur, die kenne ich in diesem Ausmaß nur in Österreich. Diese Mischung aus Kälte, Mode und öffentlichem Raum: da könnte ich mir vorstellen, dass es zum Teil unter Street Photography fallen könnte.

Standard: Im weitesten Sinn zu Street Photography könnte auch Ihr jüngstes Projekt gezählt werden. Sie wollen in Ihrer nächsten Umgebung in Chinatown fotografieren.

Semotan: Mich interessieren die Menschen, die in Chinatown leben, manchmal in atemberaubenden Verhältnissen. Faszinierend finde ich auch den Park in meiner Neighbourhood, voll von ganz jungen bis uralten Chinesen, viele machen Tai Chi. Weibliche Paare lernen Walzer auf den Asphaltplatzerln. Und auf den überfüllten Straßen werden auch immer die Uraltgroßmütter mitgeschleift, die dann vorübergehend vor einem Geschäft abgesetzt werden. Ich habe schon mit dem Fotografieren begonnen und die Menschen reagieren auch sehr positiv, viele kennen mich ja als ihre Nachbarin. Aber ich suche jemanden, der chinesisch spricht. Denn ich möchte mit den Leuten zuerst eine Beziehung aufbauen, ehe ich sie fotografiere.

ZUR PERSON:

Starfotografin Elfie Semotan, geboren 1941 in Wels, war zweimal verheiratet: Der Maler Kurt Kocherscheidt, Vater ihrer beiden erwachsenen Söhne, starb 1992. 1996 heiratete sie den deutschen Künstler Martin Kippenberger. Er starb 1997. In den 70er-Jahren gelang ihr der internationale Durchbruch mit einer Unterwäsche-Fotoserie.

 



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