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13
Dez

Frie Leysen: Künstler machen nicht nur Meisterwerke”


Die Belgierin Frie Leysen wird von 2014 bis 2016 Schauspielchefin der Wiener Festwochen sein. Andrea Schurian sprach mit ihr über Risiken sowie verpasste und verpatzte Vorstellungen

Schurian: Planen Sie, die Wiener FEstwochen jeweils unter ein Generalmotto zu stellen?

Leysen: Nein, mein Motiv ist, dass es keines gibt. Sonst wird der Künstler zum Sklaven des Motivs. Wir Kuratoren sind nur die Antennen, die versuchen zu verstehen, was in der Luft hängt, was Künstler beschäftigt. Unser Job ist es, Künstler in ihrer Arbeit zu unterstützen und nicht umgekehrt. Künstler sollten nicht die Agenda von uns Programmmachern erfüllen müssen. Ich finde es falsch, wenn Kuratoren wichtiger sind als Künstler. Programmmacher müssen ein bisschen bescheidener werden und die Künstler viel mehr ins Scheinwerferlicht rücken. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich erst im Nachhinein im Programm eine Struktur herauskristallisiert. Wenn das Meer sich zurückzieht, sieht man Linien im Sand. Erst im Nachhinein sehe ich rote Fäden, nicht im Voraus.

Schurian: Ihr Name wird gern in einem Atemzug mit postmigrantischem Theater genannt …

Leysen: … was ein großes Missverständnis ist! Meine Arbeit hat nichts mit postmigrantischem Theater zu tun, sondern mit zeitgenössischer Kunst weltweit. Das inkludiert natürlich auch nicht-westliche Kunst.

Schurian: Sie werden also die Festwochen noch mehr als bisher international ausrichten?

Leysen: Unbedingt. An einem Ort, wo Türen und Fenster zubleiben, stinkt es schnell. Man braucht frische Luft, Sensibilität, Philosophie und Sprache von überall, um die eigene Existenz zu hinterfragen. Wenn ich mich in Europa umblicke, sehe ich viele internationale Festivals. Doch bei genauerem Hinschauen entpuppen sie sich als sehr westlich. Als ich Anfang der 90er-Jahre mit meiner Theaterarbeit begann, war Europa gerade im Entstehen, es herrschte ein ungeheurer Eurozentrismus. Aber der nächste Schritt muss das Verhältnis Europas zum Rest der Welt sein. Man kann heutzutage nicht international sein, ohne auch über Asien, Afrika und Südamerika zu sprechen. Ich bin überzeugt, dass es da großartige zeitgenössische Kunstschaffende gibt, die wir nur nicht kennen. Ihr Blick eröffnet auch uns im Westen eine andere Perspektive auf die Welt und auf die Zeit, in der wir leben.

Schurian: Wie entgeht man der Gefahr des Exotismus?

Leysen: Als internationale Projekte anfingen, durch Europa zu zirkulieren, waren die meisten tatsächlich entweder folkloristisch oder exotisch oder eine Imitation unserer Kultur. Daher finde ich die Arbeit mit zeitgenössischen Künstlern so wichtig. Denn die Orte, an denen wir leben, auch deren Geschichte und Kultur, sind sehr unterschiedlich. Was wir aber teilen, ist die Zeit, in der wir leben. Das ist der Anknüpfungspunkt, von dem aus man tiefer in die lokalen Situationen vordringen kann.

Schurian: Wie verschaffen Sie sich den Überblick über asiatisches und südamerikanisches Theater?

Leysen: Gar nicht. Ich habe ja auch keinen Überblick über Europa. Die künstlerische Landschaft ist permanent in Bewegung. Was man heute kennt, kann morgen schon irrelevant sein. Es geht bei den Wiener Festwochen nicht um einen State of the Art oder ein Best-of. Ein Festival ist das Resultat von vielen Reisen, von vielen Vorstellungsbesuchen, von Diskussionen, Begegnungen - aber auch von verpassten Vorstellungen und von Nichtbegegnungen.

Schurian: Also kein Best-of?

Leysen: Dieser Best-of-Hype hat mit dem zunehmenden Konsumismus auch in der Kunst zu tun: Die Leute haben ein Ticket gekauft, jetzt muss alles toll sein. Aber so geht das nicht, Künstler machen nicht nur Meisterwerke. Es kann auch etwas misslingen. Wichtig sind die Persönlichkeit des Künstlers und die generelle Qualität seiner Arbeit. Wir sollten Künstlern, die wir relevant finden, vertrauen und sie bei neuen Kreationen unterstützen. Auch mit dem Risiko, dass sie scheitern.

Schurian: Wie zeigt sich die Relevanz bei einer misslungenen Produktion?

Leysen: Es ist die Vision, die man bei einem Künstler spürt, und sein dringender Wunsch, diese mit dem Publikum zu teilen. Sein Mut, die eigene künstlerische Sprache zu hinterfragen. Man sieht oft, dass Künstler, die kritisch über die Gesellschaft reflektieren, auch mutig genug sind, die eigenen künstlerischen Formen zu hinterfragen.

Schurian: Wie wichtig ist Geld für diese Form von Kunst?

Leysen: Bildende Kunst wird als Investment gesehen. Das Schöne am Theater und den Performing Arts ist, dass sie ephemer sind. Man kann sie nicht kaufen und an die Wand hängen. Aber Geld spielt natürlich eine wichtige Rolle. Deshalb zahlen wir auch Steuern für die Kunst, für die Bildung, für soziale Aufgaben. Darauf beruht unsere Gesellschaft. Wie Ivan Nagel sagte: “Kunst ist ein Luxus, den wir uns leisten müssen.”

Schurian: In der zeitgenössischen Kulturszene lösen sich die Grenzen zwischen den einzelnen Genres zunehmend auf. Machen es Kategorisierungen dem Publikum leichter?

Leysen: Ja, wir brauchen diese Labels, sonst hätten wir Angst, etwas nicht zu verstehen. Manchmal frage ich mich aber, warum wir uns selbst nicht mehr zutrauen. (DER STANDARD, 7./8.12.2013)

Frie Leysen (62), gebürtige Belgierin, gründete 1992 das multidisziplinäre Kunstenfestivaldesarts in Brüssel und kuratierte 2007 u. a. das Festival Meeting Points 5 im arabischen Raum. 2010 war sie künstlerische Leiterin des Theaters der Welt in Mülheim und Essen und 2012 des Festivals Foreign Affairs bei den Berliner Festspielen



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