05
Sep
Jürgen Messensee: “Was zu tun war, habe ich getan”
Er male keine Bilder, sagt Jürgen Messensee. Das, was an den Wänden hängt, seien Relikte des Erinnerns, des Nachdenkens.
Und Messensee denkt viel nach; über Parallelwelten und -zeiten, über Orte, Entfernungen, über die Unendlichkeit des Seins und die Zeitlosigkeit der Kunst. Vor allem über das, was hinter dem Sichtbaren sichtbar gemacht werden kann durch die Kunst. Spalt der Wirklichkeit heißt denn auch eines seiner Bilder, die Leinwand auf einer Seite aufgeklappt wie ein für die Autopsie geschlitzter Leib in der Anatomie.
Die Welt hinter der Welt hinter der Welt: Dort forscht die Kunst. Dort, in diesem unbekannten Universum, siedelt denn auch Messensee seine künstlerischen Untersuchungen an. Jene aus den letzten Jahren zeigt nun das Bank Austria Kunstforum, nur in einem Raum Werke aus früheren Jahren: Straße nach Antibes etwa, zwiespältige Erinnerung an einen Unfall. Verblüffend radikal fällt das Bild im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Rahmen, setzt sich die gestische Malerei auf übereinandergeschichtetem Karton in einer kleinen Skulptur am Boden fort: eine Hand und ein abgeschnittener Finger daneben als Metapher für Zerstörung.
Messensee, Suchender auf Lebensreise, hat auch die besonderen, alten Kacheln mancher Pariser Metrostationen gemalt, silber auf ockergelb, weiß auf blau, Metrowand nennt er die Bilder schlicht. Seine sechs Metrofrauen wiederum hat er, zunächst reduziert und dann immer üppiger und umfänglicher, auf Fotos dieser alten Fliesenwände gemalt: In sechs Frauenakten, sechs Bildern - ihrerseits wie ein Mosaik aus Kacheln zu einer monumentalen Installation montiert - erzählt Messensee über die Schönheit. Und die Schönheit des Alterns.
Oder die Zeichnungen auf Kalenderblättern, diesen unerbittlichen und unbestechlichen Zeitbezeugern der Vergänglichkeit, die sich Leben nennt: Das alltägliche Drama - Liebe, Leidenschaft, Verführung - bannt Messensee in intimen Zeichnungen auf Originalkalenderblätter oder in großer Geste auf großformatige Kalenderdrucke, immer wieder auch den Katamaran, Symbol für Parallelität, Segel gesetzt für die Kunst. Überhaupt: Material. Papier, Fensterrollos, Aluminium, Asphalt, Karton, Acryl, Öl, Plastik, Drucke: “Es ist möglich, über das Usuelle hinauszugehen, meine eigenen Vorurteile und die der Betrachter zu überwinden.”
Wahr wie gedruckt
Messensee, der stets elegant und distinguiert gekleidete Künstler, sieht so gar nicht nach Bürgerschreck aus und ist doch ein kompromissloser (Denk-)Gewohnheiten-Sprengmeister. Original oder Kopie, fragen seine Bilder. Wahr wie gedruckt. Echt verwirrend. Abstrakte Formen und Formeln, expressive Farbwischer, nervöse Striche, fette Farbbatzen, Pfeile machen die Buchstaben seines Vokabulars aus, das manchmal entfernt an Joseph Beuys erinnert oder an Antoní Tapiès; und doch so eigen und anders ist. Üblicherweise wird Messensee, der von der Magie der Kunst spricht, der informellen Malerei zugeordnet. Doch eigentlich malt er Frauenköpfe und -figuren und -akte, Schamhügel und -haare, Bauchnabel, Gesichter, Augen, Wimpern, Gliedmaßen, Bewegungen.
Und so besehen ist der informelle, abstrakte Messensee, der kühn Leinwand auf Aluminium klatscht, der Papier fetzt, der Löcher in die Wirklichkeit macht, tatsächlich das, was er von sich selbst behauptet: ein ganz gegenständlicher, ein realistischer, ein konkreter Maler. Es ist das, was du denkst heißt sinnigerweise eines der Bilder aus 2004.
Über die Jahre hat der 1936 in Wien geborene Künstler, der bereits mit fünf wusste, dass er Maler werden würde, seine eigene Bildsprache entwickelt. Codes und Kürzel, um etwas Neues, nie Dagewesenes zu schaffen. Erdacht, durchdacht in einer Art Meditation: “Wenn ich Glück habe, präsentiert sich mir irgendetwas Bestürzendes im positiven Sinn. Und ich bin gefordert, zu verstehen, welches Geschenk ich bekomme.” Von wem? “Der Kardinal würde sagen, vom Heiligen Geist. Ich würde nichts dagegen einwenden. Sigmund Freud würde etwas anderes sagen, der Schamane wieder etwas anderes. Und ich sage auch etwas.” Was? “Das, was da hängt. Was zu tun war, habe ich getan.” (DER STANDARD, 5.9.2013)