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Andrea Schurian

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06
Mai

Südafrika: Nicht Rache, sondern Freiheit

Südafrika, zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid und gut ein Jahr nach Nelson Mandelas Tod: Statt der politischen herrscht wirtschaftliche Apartheid. In den Townships kämpfen Arme gegen noch Ärmere, schwarze Südafrikaner gegen schwarze Zuwanderer.

Das Land gehöre Schwarzen und Weißen gleichermaßen - man würde sich als Europäer daher sofort zu Hause fühlen, sagte Aletta Mokhonoana, Mitarbeiterin der südafrikanischen Botschaft in Wien. Stimmt. Doch die Cape Flats, die Townships von Kapstadt, sprechen eine andere Sprache. Die Blechhütten, oft ohne Strom, erzählen davon, dass die Armut immer noch überwiegend schwarz ist und der Wohlstand weiß.

Mpendulo Yawa, Siyabulela Gqola, Xolani November und Loyiso Dlova sind in Gugulethu aufgewachsen, zur Schule gegangen - und mittlerweile weit über die Grenzen ihrer Kapstädter Township hinaus als die vier Gugulethu-Tenöre bekannt. Die Fußball-WM war eine Art Kickoff für das Debütalbum der charismatischen Autodidakten, die Klassik mit afrikanischer Musik mixen, weiße und schwarze Kultur, Mozart-Arien mitHip-Hop. Ihre Mission: “Wir sehen uns als Rolemodels für die Jugendlichen in den Townships. Wir wollen ihnen einen Weg ohne Drogen und Gewalt vorleben und zeigen, dass auch uns Township-Kids die Welt offensteht.”

Der Ikamva Marimba Band steht immerhin schon die hippe Kapstädter Waterfront als Bühne offen. Ihre fünf Mitglieder kommen aus Khayelitsha, der am schnellsten wachsenden Township Südafrikas, mit einer Arbeitslosenrate über 60 Prozent. “Ikamva” heißt übrigens Zukunft in der Sprache der Xhosa.

Der Weg in die Freiheit ist immer noch lang. Zwar hat Südafrika das höchste Bruttoinlandsprodukt auf dem afrikanischen Kontinent. Aber die Arbeitslosigkeit - wenngleich in den letzten Jahren leicht rückläufig - liegt offiziell bei etwa 24 Prozent, inoffiziell spricht man von bis zu 40 Prozent, die überwiegende Mehrheit der Arbeitslosen ist schwarz. Bildung ist ein kostbares - und teures Gut. Selbst öffentliche Schulen sind kostenpflichtig, weshalb viele (vor allem europäische Ferien-)Hausbesitzer ihren Putzfrauen und Gärtnern zusätzlich zum Lohn das Schulgeld für deren Kinder bezahlen.

Wirtschaftliche statt politische Apartheid: Moeletsi Mbeki, Bruder des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki und Mitarbeiter des Instituts für internationale Angelegenheiten, beklagt in Interviews immer wieder, dass die breite Masse der ehemals diskriminierten Bevölkerung so wenig Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung habe wie zuvor.

Laut Global Corruption Barometer von Transparency International halten 65 Prozent der Bevölkerung Korruption für ein “ernstes Problem”. Sogar Staatspräsident Jacob Zuma steht unter Korruptionsverdacht, seit er sein privates Domizil auf Staatskosten um 246 Millionen Rand (rund 17 Millionen Euro) umbauen ließ. Zum Vergleich: 40 Prozent der schwarzen Bevölkerung leben mit weniger als 350 Euro pro Jahr.

Wirtschaftsmotor

Andererseits ist die Regenbogennation das politisch stabilste und sicherste Land der Region, rohstoffreich, voller atemberaubender Naturschönheiten, weiter Landschaften, gleißender Strände, pulsierender Städte, entgegenkommender, offener Menschen, aufregender Kulturen. Die südafrikanische Wirtschaft ist die stärkste des Kontinents, die Verfassung eine der liberalsten weltweit.

Eng an eng Hütten, ein paar Ziegen auf der staubigen Sandstraße, Kinder laufen neben dem Auto her: “What’s your name, Mama?” Für zehn Rand werden sie aufs Auto aufpassen. Bei Mzoli’s in Gugulethu versammeln sich Weiße wie Schwarze zum Braai, zum Grillen, und feiern ihre gemeinsame Zukunft. Ja, hier will eine Nation friedlich zusammenwachsen, allen historischen und rassistischen Ungeheuerlichkeiten zum Trotz. Es ist ein Prozess, der von der schwarzen Mehrheit Geduld, Toleranz und nicht zuletzt von der weißen Minderheit Vertrauen erfordert: “Der ökonomische Unterschied lässt sich nicht wegdiskutieren. Es dauert, bis die Menschenrechte wirklich installiert sind. Wir wollten nicht eine Gruppe zugunsten der anderen enteignen. Das Eigentum unserer weißen Mitbürger wurde nicht angetastet und ist geschützt. Das war Teil der Vereinbarung zwischen dem ANC und dem Apartheid-Regime”, sagt Tebogo Seokolo, Südafrikas Botschafter in Österreich und aufgewachsen in einer Township nahe Johannesburg.

Careline ist Rangerin in einem privaten Naturresort in der Karoo - dort, wo früher die Buschvölker der San und Khoi lebten. Sie ist eine kundige Führerin zu deren jahrtausendealten Höhlenmalereien.

Geboren wurde Careline 1992, zwei Jahre vor dem Ende der Apartheid, in eine christlich-jüdische Buren-Familie: “Ich werde nie vergessen, wie mich mein Vater als kleines Mädchen an der Hand nahm und sagte: ‘Dieses Land gehört nicht mehr uns.’ Er hatte Angst vor der Zukunft. Würde ein Alien landen, ich könnte ihm Apartheid nicht erklären.”

Zählen nach Hautfarbe

Wie während der Apartheid wird die Bevölkerung noch nach Hautfarbe gezählt: Mehr als vierzig Millionen (79,8 Prozent) sind schwarz, rund vier Millionen (8,7 Prozent) weiß; neun Prozent (4,27 Millionen) farbig, Asiaten machen 2,5 Prozent der Bevölkerung aus. In Montagu, einem beschaulichen Städtchen im Landesinneren, stehen am Tor zur Township immer noch die während der Apartheid geltenden Ausgehzeiten: Geschlossen ab 17 Uhr.

“Meine Kinder sind Born Frees, die können sich das gar nicht mehr vorstellen. Aber meine Generation hat die Brutalität des Apartheid-Regimes noch erlebt. Nach fünf Uhr durften wir nicht mehr in der Stadt sein”, erzählt Seokolo. “Natürlich waren wir wütend! Aber Mandela sagte immer, es sind nicht die Weißen, die wir bekämpfen. Man muss das System zerstören, Schwarze und Weiße durch den Demokratisierungsprozess befreien. Wir mussten die Gegner überzeugen, dass Südafrika nur im Dialog eine gemeinsame Zukunft haben kann. Schwarzer Rassismus ist ebenso wie weißer Rassismus gegen die Menschlichkeit.” Vielleicht, fügt er noch an, sei es für die Weißen ein bisschen schwerer, mit Schwarzen zusammenzuarbeiten, als umgekehrt: Sie wissen, was sie uns angetan haben. Aber wir wissen auch alle, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegen soll.”

Die Richtung zeigte Nelson Mandela 1964 vor, als er beim berüchtigten “Rivona-Prozess” sagte: “Mein teuerstes Ideal ist eine freie und demokratische Gesellschaft, in der alle in Harmonie mit gleichen Chancen leben können. (…) Wenn es notwendig ist, ist dies ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin.” Der UN-Sicherheitsrat konnte zwar die Todesstrafe abwenden, aber wegen “terroristischer Umsturzversuche” verschwand Mandela für 27 Jahre hinter den Gefängnismauern von Robben Island - heute übrigens eine Tourismusattraktion, besonders schön ist bei der Rückfahrt die Sicht auf das in der Abendsonne glühende Kapstadt.

Dreißig Jahre später, 1994, rief Mandela in seiner Antrittsrede den Menschen aller Hautfarben seines Landes zu: “Wir werden eine Gesellschaft errichten, in der alle Südafrikaner, Schwarze und Weiße, aufrecht gehen können, ohne Angst in ihren Herzen, in der Gewissheit ihres unveräußerlichen Rechts der Menschenwürde, eine ‘Regenbogennation’ im Frieden mit sich selbst und mit der ganzen Welt.”

Kindersterblichkeit

Einer seiner letzten Wünsche war ein Krankenhaus für Kinder aller Hautfarben und sozialen Schichten. Schätzungen zufolge sterben in Südafrika 44 von tausend Kindern unter einem Jahr. Der Nelson Mandela Children’s Hospital Trust will diese Zahl um zwei Drittel senken.

Im Juli 2014 - der Friedensnobelpreisträger wäre 88 Jahre alt geworden - war Spatenstich für das Nelson Mandela Children’s Hospital. Neben einem in Nairobi und zwei in Kairo wird es erst das vierte Kinderspital auf dem afrikanischen Kontinent sein, auf dem rund 450 Millionen Kinder leben. Zur Finanzierung finden weltweit Benefizveranstaltungen statt. Auch Seokolo organisierte ein umjubeltes Konzert mit dem (weißen) südafrikanisch-österreichischen Tenor Johan Botha und der (schwarzen) Sopranistin Pretty Yende im Wiener Konzerthaus.

Yende, die beim Belvedere-Gesangswettbewerb 2009 erstmals alle vier Preise (Oper, Operette sowie Publikums- und Medienpreis) gewann, erlebte in einer Township im Nordwesten des Landes neun Jahre Apartheid: “Aber ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der immer klar war, dass alle Menschen gleich sind.”



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