07
Okt
Wolfgang Hollegha: “Das Schiefe, das Organische inspiriert mich”
Eine Astgabel zum Beispiel. Ein Scheit, das schief an der Hauswand lehnt. Wurzelgeflecht. Die wie achtlos hingeworfene blaue Mütze auf dem Kopf eines alten Schaukelpferds. Der Teddybär, der seit Jahrzehnten im Fensterrahmen verstaubt. Eine Löwen-Handpuppe in der Zimmerecke: Das sind die Gegenstände, die Wolfgang Hollegha anschaut, immer wieder anschaut und zeichnet, anschaut, verinnerlicht, bis - ja, bis er die Bewegung entdeckt, sie sozusagen vom Gegenstand loslöst und in einem Mal-Furor in Farbflecken und -wischern auflöst. Abstrahiert. Auf der Leinwand ist dann kein Gegenstand mehr zu erkennen, keine Astgabel, keine Puppe, nichts. Nur der Schwung, die innere Logik, die Bewegung, in Wolfgang Holleghas Bildsprache übersetzt: “Ich gehe immer von der Natur aus, von dem, was ich sehe. Wenn ich das nicht hätte, wäre das, was ich mache, willkürliches Geschmiere.” Und er zitiert den Philosophen Maurice Merleau-Ponty: “Der Maler setzt seinen Körper ein und verwandelt die Welt.”
Unabhängig von Kunstmoden entwickelte Hollegha seine ganz bestimmte Malweise; er verdichtet im Verdünnen, schrieb der Kunsthistoriker Alfred Schmeller einmal über Holleghas extrem dünnen Farbauftrag.
Seit fast fünfzig Jahren lebt der Maler in einem 400 Jahre alten einschichtigen Bauernhaus in der Nähe von Frohnleiten, die Regale und Nischen voller alter Dinge: Körbe, Säcke, Leitern, Krüge, Spielzeug - seine Malvorlagen. Anrühren und Abstauben strengstens verboten. Einmal, erinnert sich Sohn Daniel, mittlerweile erfolgreicher Architekt in Spanien, habe der Vater sogar einen Tisch mitten entzweigehackt, um ein Motiv unversehrt ins Atelier zu transportieren. Zu verinnerlichen.
“Cézanne hat gesagt: Die Natur ist innen. Das heißt, das Innen des Künstlers und die Natur sind eine Einheit. Aber das Innen von van Gogh oder von Rembrandt ist etwas ganz anderes als jenes von Cézanne. Dennoch kann man nie sagen: Rembrandt und Velázquez korrigieren einander, nur einer ist etwas wert. Nein - beide sind, mit ihrer ganz eigenen Grammatik, in ihrer künstlerischen Individualität wichtig.”
Kunst begreift Hollegha als radikale individuelle Äußerung und somit im Widerspruch zur Wissenschaft: “Einstein kann nicht sagen, dass eine Formel nur funktioniert, wenn er selbst sie anwendet - weil nur er selbst sie anwenden kann. Eine wissenschaftliche Formel muss nachvollziehbar sein. In der Kunst ist das anders. Da hat Grammatik überhaupt nur Sinn, wenn es die Grammatik einer bestimmten Person ist. Wittgenstein sagt: Das Mystische zeigt sich. Das ist die Möglichkeit der Malerei: das, was außerhalb der Realität der Wissenschaft ist, zu zeigen.”
Naturraum als Erlebnisraum
Geboren wurde Wolfgang Hollegha am 4. März 1929 in Klagenfurt. Der Vater starb schon vor der Geburt, die Mutter hatte Tuberkulose, damals ein Todesurteil. Also nahm eine Tante den kleinen Wolferl zu sich nach Frohnleiten. Mit Kunst kam er kaum in Berührung; und als er seinen ersten Picasso sah, war er entsetzt.
Nein, sein Lebenslauf verhieß ihm nicht schon als Kind, dass er gemeinsam mit Arnulf Rainer, Josef Mikl und Markus Prachensky zur Avantgarde rund um Monsignore Mauer und dessen Galerie St. Stephan zu einem der wichtigsten abstrakten Maler Österreichs werden würde, der 1957 den Guggenheim-Preis erhalten, 1964 an der Documenta in Kassel teilnehmen und 1960 mit Weltstars wie Mark Rothko, Kenneth Noland, Morris Louis in New York ausstellen sollte. Kaum erwähnenswert findet er, dass er zweimal, 1964 und 1966, im Guggenheim-Museum ausstellte: “Ich hätte erfolgreicher sein können, wenn ich in New York geblieben wäre. Aber das hat mich nie interessiert.”
Also zurück aufs Land. Der Naturraum ist sein Erlebnisraum, hier findet Wolfgang Hollegha seine Motive, Dinge mit Spuren des Alterns und der Vergänglichkeit. “Wenn man durch den Wald geht, da ist alles ein bisschen schief. Organisch. Oder, wie die Felsen, über Jahrtausende gewachsen. Dieses Schiefe, Organische, Gewachsene, inspiriert mich. Die geometrische Form ist absolut richtig, aber absolut unvereinbar mit der Verschiedenheit der Menschen.”