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01
Apr

Katharina Razumovsky: Kunst- und Famlienaufstellung

Gibt gar keine andere Möglichkeit, sagt Katharina Razumovsky: „Wenn du in einen Dialog eintreten willst mit der Welt, musst du Kunst machen.” Die Dialoge, die sie führt, sind allerdings nicht als belanglose Teeplaudereien angelegt, sondern als ganz schöne Tabubrüche Ihre Wohnung, Altbau, dritter Bezirk, ist kein durchgestyltes Home, obwohl, einen Dandy gibt es da schon, 13 Jahre alt, ein schwarzer Labrador, der sich wie ein lebender Teppich vor dem Fauteuil hinlegt. Aber sonst nichts als Kunst in allen Winkeln und Ecken, selbst die Pölster auf dem Sofa sind Kunstwerke; und die in Gießharz gegossenen Babyfotos, wie Käferchen krabbbeln die fein säuberlich entlang der Umrisse ausgeschnittenen Babies über die Wand. Kunst sogar im Bad und auf der Backofentür, da ist ein Frauenporträt draufgepinselt. Und der Lampenschirm war in seinem früheren Leben ein teures Salzburger Dirndl. Bedruckt mit einer Frau, die sich in den Arm beißt, ist der Seidenstoff nun über das Drahtgestell einer Stehlampe drapiert und nichts mehr ist ihm geblieben von seiner lieblichen Trachtenidylle. Als ob sich die Dirndl-Besitzerin aus ihrer Vergangenheit geschält, sich gehäutet und die Haut zum Trocknen aufgespannt hätte. Schichten um Sichten um Schichten freilegen, aufblättern, weiterforschen häuten, sich neu erfinden, Tradiertes hinterfragen, irritieren, (Seh)Gewohnheiten durchbrechen. Das ist die Kunst der Katharina Razumovsky: Brüche offenlegen, und derer gibt es viele in ihrer Biographie.

Mütterlichereits stammt Katharina Razumovsky aus dem hessischen Fürstengeschlecht Solms, also aus allerfeinstem deutschen Hochadel, die Mutter ist Prinzessin, „aber in Wirklichkeit eher so ein Jeansweib, sie engagiert sich für Ausländer in der Lokalpolitk, hat bei Adorno studiert und warkommunistisch eingestellt.” Väterlicherseits wiederum verdankt sie ihren klingenden Namen einem ukrainischen Bauern, der als Chorsänger am St. Petersburger Hof und alsbald als Liebhaber im Bett der späteren russischen Zarin Elisabeth landete, die ihn in den Adelsstand erhob und damit den Grundstein legte für die bedeutende Rolle der Grafen Razumovsky (nicht nur) in der russischen Politik. Sohn Andrej beispielsweise war russischer Botschafter in Wien, Ludwig van Beethoven widmete seinem feinsinnigen Gönner sogar einige Streich-Quartette. „Mein Vater war einerseits sehr stolz auf seine Familiengeschichte, andererseits hat er diese Gesellschaft nicht sehr geschätzt. Bei mir ist es noch krasser. Ich hasse es, danach gefragt zu werden.” Dass eine Straße und ein Palais in Wien so heißen wie sie, findet sie kaum der Rede wert. Nein, door-opener sei der Name keineswegs, im Gegenteil: „Er lenkt von dem ab, was ich mache und was ich bin.”

Gelangweiltes Prinzesschen ist die promovierte Philosophin und vierfache Mutter jedenfalls keins, sondern Künstlerin mit augenfälligem Hang zu radical chic.

In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie, ob Kunst ein Wahrheitsanspruch zugeschrieben werden könne und kam zum Schluss, dass, wenn überhaupt, nicht Philosophie, sondern nur Kunst etwas über die Welt auszusagen im Stande sei. „Kunst ist die Aufstellung unserer Lebenswelten, so wie bei der Familienaufstellung: alles, was ich bisher erfahren habe in meinem Leben, alles, was ich bin, bringe ich ein. Wie sehe ich mich in der Welt? Kunst ist der Versuch, mich selbst zu verstehen und mich sichtbar zu machen im Hier und Jetzt. Kunst zu machen ist eine nicht eitle Weise, um geliebt zu werden. Man will ja wirklich als Mensch angenommen werden und nicht bloß, weil man solche Haare hat”, sagt sie und zupft an ihren punkig hellblonden Haaren. Malerei, Fotografie, Video, Happening, abstrakte Kompositionen, vielschichtige Materialschlachten aus Plastik, Stoff und Transparentpapier, Folie, Gießharz, sie ist großzügig bei der Wahl ihrer Mittel, passt in keine Schublade, am wenigsten in die mit der Aufschrift „angepasst”. Aufregen, Menschen aus ihrem Trott reißen, anregen, alles, nur kein Stillstand. Das ärgste Schimpfwort, das sie für manche Künstlerkollegen parat hat, ist „Schlaftablette”, Müsste man sie mit wenigen Worten charakterisieren, dann wohl mit hellwach, klug, selbstbewusst, intellektuell, humorvoll, gewinnend, tough, schlagfertig, außergewöhnlich, Buddhistin, eine hinreißende Mischung aus deutscher Präzision und Wiener Gelassenheit, selbstironisch und, ja, spontan. Es kann schon vorkommen, dass sie zu Mittag ein „hatten heute den ganzen tag jede menge familien-gäste, weil wir den 85. geburtstag meiner tante gefeiert haben, und ich habe köstliche sachen gekocht, die wir jetzt alle aufessen müssen, und zwar bald: könnt ihr uns vielleicht an einem baldigen abend dabei helfen?”-Mail losschickt und am Abend sind die Freunde auch schon da und auf dem Tisch herrlichste russische Spezialitäten, Enten- und Fischpasteten und Soßen und Salate und dazu Weine und Diskussionen über Gott und die Welt und Moskau und die Kunst. Vor allem über die Kunst.

Das Bild über dem Sofa heißt „Ohne Sex kein Leben” oder vielleicht heißt es auch „Ohne Leben kein Sex”, diese vier Worte jedenfalls tauchen immer wieder auf zwischen den trotzig dreinblickenden Teenagern, die sie in grellen Schockfarben porträtiert hat. „Ich finde dieses Alter so wahnsinnig sympathisch, da ist man man noch Kind und doch auch schon mit dem umdurchschaubaren Erwachsenenwerden konfrontiert. Diese Jugendlichen zeigen noch so direkt, wie schwierig das Leben ist und wie verwundbar sie sind. Ich fühle mich selber noch wie ein Teenager. Andererseits bin ich mit 46 in dem Alter, wo ich mich mit dem Älterwerden, mit den damit verbundenen Ängsten und Veränderungen auseinandersetze.” Was wäre, wenn. wir altern und die Spuren verlebter Jahre nicht mehr wegschminken, nicht mehr dem Ideal des Mainstream entsprechen können, wenn wir Randfiguren im sozialen Gefüge sind? Ihre diesbezüglichen Recherchen inszeniert die Künstlerin gern als Konfrontations(dis)kurse im öffentlichen Raum, weil: keine Aktion ohne Rekation. Kunst ohne Ethik ist Kosmetik.

So bedruckte sie Pölster mit grimassierenden Gesichtern, schreckensgeweiteten Augen, zahnlosen Mündern und Körperteilen alter Menschen und verteilte sie an Freunde; die bizarren Zierkissen wie Masken vor sich hertragend, marschierte das Grüppchen durch Wiens Einkaufsstraßen. “Was soll denn das sein? Das ist keine Kunst. Das ist Mist”, beschieden etliche Spaziergänger erbost, andere waren von der Kunst-Demonstration begeistert. Im Juni wird sie wieder auf die Straße gehen, diesmal mit Transparenten, auf die sie Fotos von Obdachlosen, Ausländern und geistig behinderten Menschen aufgedruckt und mit provokanten Fragen wie „Bin i im Weg?”, „Willkommen!” und „Siehst du mich?” versehen hat. Mit Video und Webcams wird sie die Reaktionen der Passanten dokumentieren und die Ergebnisse dieser künstlerischen Feldforschung über Randexistenzen und Fremdsein im Project Space der Wiener Kunsthalle präsentieren.

Wie es sich anfühlt, fremd zu sein, weiß Katharina Razumovsky gut. Ihr Vater war Auslandskorrespondent der FAZ und das heißt soviel wie: alle paar Jahre Abschied nehmen, übersiedeln, weiterziehen, neues Land, neue Stadt, neue Freunde, neue Regeln. Aus Prag wurde die Familie 1968 ausgewiesen, weil der Vater in seinen Artikeln prophezeit hatte, was kurze Zeit später tatsächlich geschehen sollte, nämlich, dass russische Soldaten in der damaligen Tschechoslowakei einmarschieren würden. Sie lebte in Frankfurt, Holland, Belgrad, Paris, sie.lernte englisch, französisch, italienisch, später russisch, Latein und griechisch sowieso, die Schwester übrigens auch noch holländisch und serbisch, vor allem aber lernte das polyglotte Kind von kleinauf weltberühmte Intellektuelle und Künstler kennen. An einen denkwürdigen Abend erinnert sie sich besonders gern, da war sie gerade einmal 16 und der Dramatiker Eugène Ionesco bei den Eltern zu Gast. Das Dinner wurde zu einer „Unterrichtsstunde” der besonderen Art: „Ich habe ihn und dieses ganze absurde Theater damals so wahnsinnig verehrt. Und dann durfte ich neben ihm sitzen! Wir haben uns unterhalten, plötzlich sagte er: ‚La salade est triste.’ - ‚Der Salat ist traurig’ - Und ich dachte mir: großartig! Diesen Satz hat er jetzt eigens für mich erfunden.”

Als der Vater nach Südafrika geschickt wurde, blieb die Tochter in Europa, heiratete 1986 in der russisch-orthodoxen Kirche in Wien, übrigens der größten Mitteleuropas, dissertierte 1991 in München zugleich mit ihrem Mann, gemeinsam bereisten sie ein Jahr lang Indien, später Afrika und Asien. Als ihrem Mann ein Auslandsjob angeboten wurde, willigte sie ein, mitzugehen, vorausgesetzt in den Osten, nach Russland. 1992, in den letzten Tagen der kommunistischen Planwirtschaft, übersiedelte das Ehepaar nach Moskau, aber schon bald kurvten neureiche Russen in rosaroten Porsches durch die Straßen, flogen übers Wochenende zum Fallschirmspringen nach Zypern und da Katharina Razumovsk meist weiß was sie will, wusste sie auch da: das nun bitte nicht. Als Kontrastprogramm zog die Familie mitten in den Wald zwischen Kassel und Nirgendwo, eiskalt war es und die Menschen abweisend, erinnert sie sich; dass ihr Mann als Leiter einer Fabrik die Hälfte des Personals entlassen musste, trug nicht gerade zur Klimaverbesserung im Dorf bei. Ein Jahr in der sauerländischen Provinz reichte, dann schon lieber Highlife in Moskau.

Dass sie seit ihrer Scheidung nun schon seit fast acht Jahren in Wien sesshaft ist, erstaunt niemanden mehr als Katharina Razumovsky selbst: „Ich war noch nie so lange an einem Ort. Wenn es mir reichte, bin ich bisher immer umgezogen - zuerst als Journalistentochter. Später hat es die Firma meines Mannes bezahlt. Aber ich habe gemerkt, wenn man so oft umzieht wie ich, bleibt man immer an der Oberfläche, aber das ist nicht the real thing. Wenn man bleibt, muss man sich den Problemen stellen. Ich wollte endlich einmal in die Tiefe zu bohren. Ich merke erst jetzt, wie lange es dauert, bis ich Menschen kennenlerne, die mich wirklich interessieren.”

Außerdem sei Wien ideal für ihre Kinder,der älteste Sohn ist 19, die jüngste Tochter 10, dazwischen zwei Mädchen mit 12 und 14. Und die Erinnerung an ihren zweitgeborenen Sohn, der bei einem Unfall starb, als er noch nicht einmal drei Jahre alt war: „Das war für mich wirklich ein Ende in meinem Leben. Wenn ich da nicht meinen Sohn Leo gehabt hätte - er hat mich gerettet, allein dadurch, dass er da war. Daher kann ich mir gar nicht vorstellen, ohne Kinder zu sein. Ich liebe sie über alles. . Für sie würde ich alles aufgeben, auch die Kunst.”

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Ein Kommentare zu diesem Beitrag. to “Katharina Razumovsky: Kunst- und Famlienaufstellung”

  1. Johannes Wagner sagt:

    Hallo liebe Katharina Razumovsky,

    wir sind uns erstmalig begegnet in Deiner “Beichthütte” am Karlsplatz am 27.06. 2010.
    Ich begrüßte Dich und die umstehenden mit “Friede sei diesem Haus”. Ich stellte mich dann vor und sprach dann eine ganze Weile mit Dir alleine. Ich weiß nicht wie es Dir Katharina (darf ich Dich noch so anreden?) heute geht. Aber ich kann mir nicht helfen, irgendwie bin ich Dir innerlich begegnet. Ich verstehe Dein Anliegen, auch wenn es eine sehr schrille Art zur Schaustellung scheint. Anderseits wäre aber vermutlich kaum Aufmerksamkeit zu diesem mehr als nicht einfachen Thema zu erwarten. Zu viel ist da in den letzten Jahrzehnten schief gelaufen. Ich mußte doch heute am 29. Juni zur Arbeit. Und ehrlich, irgendwie hielt mich innerlich was ab Deiner Einladung zur Podiumsdiskussion in der Kunsthalle in Wien um 19 Uhr zu kommen. Weil Sie, weil Du mir als Mensch Katharina etwas bedeutest. Einen Tag vor dem Sonntag, wußte ich noch nicht, dass wir uns begegnen sollten. Nach dem ich von solcher Art Podiumsdiskussionen keine gute Erfahrung habe, wollte ich Dich so in Erinnerung behalten, wie wir im stillen Gebet auseinander gegangen sind. Seltsam, ich hege den Wunsch, dass es nicht die erste und letzte Begegnung war. Es gäbe so viel, so viel Nachzudenken, zu überlegen, und täusche Dich nicht, auch die Philosophie ist Ausdruck einer großen Seele. Kunst ohne Philsophie hat keinen Nährboden. Und natürlich erst recht nicht unser Leben ohne Gott zu kennen und zu lieben.
    Seltsam, meine Frau hatte zwar österreichische Eltern, wurde aber in Kassel mitten im Bombenhagel des 2. Weltkrieges geboren. Auch ich habe einen sehr bunten Stammbaum, sogar eine Verbindung Habsburger Haus Richtung Spanien und einen russischen Onkel Alexander. Meine Mutter kam aus Krakau (Polen)und mein Vater war wieder mit einen deutschen Bauernadel verbunden, und mein Großvater war kaiserlicher Finanzrat in Wien. Und ich habe von allen etwas, ganz sicher auch ein bißchen verrückt sein, oder eben anders als gewöhnlich normal - lächeln bitte. Aber ich denke, Du verstehst mich. Wenn es nicht auch Menschen gäbe wie wir,die manchmal richtig liegen aber aus der Rolle fallen, dann gäbe es die Menschheit nicht. Ich halte es mehr mit der positiven, symphatischen Seite und Du, Katharina? Ich glaube, oh mein Gott, ich glaube ich habe Sie, ich habe Dich lieb gewonnen! Wie ist das bitte möglich unter diesen seltsamen Umständen wie wir uns erstmals am Sonntag als Bruder und Schwester begegnet sind? So jetzt weißt Du, warum ich nicht zur “Diskussion” gehen wollte. Die anderen mag ich nicht, aber Dich,ich wäre wohl ein schlechter Disputant gewesen, durch meine Befangenheit. Und Gott sei Dank, ich wußte am Sonntag, außer von Deiner ausgefallenen Aktion von Dir nichts, so dass ich völlig unbefangen gewesen bin und wollte eben nur einer Schwester helfen wieder zurück zu finden und zeigen, dass es sich lohnt nach Gott zu fragen, zu suchen und ihn sogar zu lieben. So ich habe keine Ahnung, ob Du diese Nachricht lesen kannst, ich versuche es eben.
    Gott liebt Dich
    und ich Dich auch
    Johannes

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