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23
Okt

Andrea Breth: “Zu Nestroy habe ich null Fantasie”

                           

Die Sprache, sagt Regisseurin Andrea Breth im Gespräch mit Andrea Schurian, ist ihre Heimat. Die Probebühne ihr Zuhause

ASch: Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Breth: Nirgendwo. Ich empfinde mich als Gast in dem Land, in dem ich aufgewachsen bin. Und ich empfinde mich auch als Gast in Österreich. Wirklich zu Hause bin ich im Grunde genommen nur auf der Probebühne. Ich bin mit den Insassen des Burgtheaters, den Technikern, mit wunderbaren Schauspielern, verbunden. Heimat ist immer da, wo die Arbeit schön ist.

ASch: Was verbinden Sie noch mit Heimat?

Breth: Die Sprache. Was wir denken, setzen wir in Sprache um. Je mehr Worte wir haben, umso besser können wir denken. Ich würde nie in Finnland oder Schweden inszenieren, weil ich die Sprache nicht kann. Auch nicht in England, obwohl ich ziemlich gut englisch spreche. Aber ich arbeite intensiv an der Sprache, um sie sinnlich wahrnehmbar zu machen. Das würde ich mir in einer Fremdsprache nicht zutrauen. Und obwohl ich einen Wiener Vater hatte, musste ich, als ich das ersten Mal in Wien inszeniert habe, einige Wörter wie eine Fremdsprache lernen.

ASch: Welche?

Breth: “Ich hau mich über die Häuser.” Oder “bucklfünferln.” Das klingt so poetisch, bis man draufkommt, dass es eigentlich ganz unelegante Ausdrücke sind.

ASch: Heimat ist ein sehr ambivalenter Begriff und hat seit den Nazis einen negativen Beiklang.

Breth: Ja, es ist eines der Wörter, die nicht mehr genau angeschaut werden, weil sie Missbrauch erlitten haben durch den Nationalsozialismus. So wie Ehre, Würde oder Anstand. Es wäre sinnvoll, das einmal zu entstauben und sich den Grundwert eines Wortes anzuhören.

ASch: Ist Theater der Ort, wo man mit dem Entstauben beginnen könnte?

Breth: Ich denke schon, wenn man es nicht auf eine dumme, ungebildete Weise tut. Es ist auch mit ein Grund, warum ich mich mit deutschen Dichtern wie Schiller, Kleist oder Lessing beschäftige. Das echte Skandalon ist heute doch, etwas Schönes zu zeigen. Die Anmut, die Poesie des Menschen.

ASch: Welche Österreich-Klischees fallen Ihnen ein?

Breth: Die Kultur des Kaffeehauses: Kaffee, ein Glas Wasser, Zeitungen. Und man kann rauchen, bis einem die Lunge rausfällt. Aber man muss schon sagen: Das Land hat seit dem Aufkommen der FPÖ einen ganz schlechten Ruf. Zum Vorsprechen für Quai West kam in London ein großartiger schwarzer Schauspieler, den ich unbedingt wollte. Er hat mit der Begründung abgesagt, dass Österreich rassistisch ist. Ich wusste kein Argument dagegen. Schwarze werden in Wien “Bimbo” genannt, oder es wird ihnen unterstellt, dass sie Dealer sind. Wien ist wirklich keine multikulturelle Stadt. Dennoch habe ich in Österreich so kluge und wunderbare Menschen kennengelernt, dass ich meinen Wohnsitz hierher verlegt habe.

ASch: Wie geht es Ihnen mit den österreichischen Nationaldichtern - Arthur Schnitzler, Franz Grillparzer, Johann Nestroy?

Breth: Schnitzler habe ich immer wahnsinnig gern gemacht. Grillparzer finde ich Biedermeierkommodendeutsch. Interessiert mich nicht. Zu Nestroy und Ferdinand Raimund habe ich null Fantasie. Ich weiß nur nicht, ob das etwas mit Nationalität zu tun hat oder doch eher mit der Frage, ob man diesen Stil schafft, ohne dass man eine Hauruck-Dummbeutel-Komik entwickelt. Nestroy hat ganz gewiss etwas Welthaltiges. Aber es gibt Dinge, da weiß ich, dass ich falsch bin.


Zur Person:
Andrea Breth, geb. 1952 in Rieden bei Füssen, vielfach ausgezeichnete Theater- und Opernregisseurin. Von 1992 bis 1997 leitete sie die Berliner Schaubühne. Seit zehn Jahren inszeniert sie am Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen.

 



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