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16
Apr

Christo und Jeanne-Claude: Kleinkunstwerke für Briefmarkensammler

Christo und Jeanne-Claude, weltberühmt für spektakuläre Interventionen im öffentlichen Raum, unterstützen mit einer Briefmarke den Contemporary Art Tower (CAT) im Gefechtsturm im 3. Bezirk von Wien

Und jetzt also die allererste Briefmarke, die kleinste Intervention im öffentlichen Raum. 55 Cent ist Christos auf Portoformat reduzierte Vision des verhüllten Flakturms aus den späten 1970er-Jahren wert: eines von 37 Projekten, die Jeanne-Claude und Christo nicht realisierten. “Viele unserer Projekte werden oft abgewiesen. Bei einigen verlieren wir das Interesse. Andere bleiben in unseren Herzen. An denen arbeiten wir weiter, oft auch Jahrzehnte.”

Die Verhüllung des Berliner Reichstags beispielsweise hatte so eine lange Vorgeschichte: 1961, noch hatte Christo nur kleine Dinge wie Dosen und Sessel, später Autos und Motorräder mit harzgetränkter Leinwand verpackt und verschnürt, wuchs der Wunsch nach Größerem; zunächst verhüllten Christo und Jeanne-Claude als erste Gemeinschaftsarbeit im Kölner Hafen Fässerstapel, ein Jahr später bauten sie in Paris eine Mauer aus Ölfässern - mit dieser Wall of Barrels kommentierten sie den Bau der Berliner Mauer.

“Wir hatten dafür natürlich keine Genehmigung. Die Polizei kam, wir mussten aufs Revier. Das Einzige, was man uns dort sagte, war: ‘Das dürfen Sie nie mehr machen.’ Wir hatten zwar fürchterliche Angst. Aber innerlich mussten wir lachen. Und wir machten nie mehr das Gleiche.” Nun sollte es ein öffentliches Gebäude sein, ein Gefängnis. Oder ein Parlament. Ihre Kunst, sagen sie, erfordert “Patience”. Geduld. Vor allem aber Passion. Leidenschaft. “Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu präzisieren: Uns geht es nicht um das Verhüllen, Verpacken. Sondern uns interessiert die Verwendung von Stoff. Das ist immer schon ein wichtiges Thema in der Kunstgeschichte.”

Von den ersten vagen Vorstellungen Anfang der 1960er-Jahre bis zur tatsächlichen Verhüllung des Berliner Reichstags 1995 führten Jeanne-Claude und Christo unzählige Telefonate und Verhandlungen, erläuterten ihre Pläne in Briefen an die Abgeordneten; aber erst in Rita Süßmuth als Bundestagspräsidentin fanden sie auch die nötige (gesellschafts)politische Unterstützung für ihr kühnes Unterfangen.

Mit der Sonderbriefmarke wollen Christo und Jeanne-Claude nun ihrerseits die Realisierung einer Vision unterstützen: nämlich die von MAK-Direktor Peter Noever, der einen der beiden martialischen Flaktürme im Wiener Arenbergpark in einen Contemporary Art Tower des 21. Jahrhunderts verwandeln möchte. Nachdem unlängst Anish Kapoor seine Installation Shooting into the Corner diesem guten Kunstzweck gespendet hat, konnte nun mit Jeanne-Claude und Christo das Unterstützungskomitee prominent erweitert werden.

Zur Präsentation sind die beiden eigens von New York nach Wien geflogen. Wie immer reisten sie auch diesmal in getrennten Flugzeugen. Gut gelaunt sitzen die zwei im Hotel Sacher, keine Spur von Kunst-Krisen-Stimmung. Im Gegenteil. Gerade eben hat das Smithsonian Museum in Washington 380 Werke - Zeichnungen, Pläne, Modelle - ihres 1976 in Kalifornien verwirklichten Projektes Running Fence angekauft. “Sie müssen nicht glauben, dass die Kunstwelt in den USA leidet” , sagt Jeanne-Claude. “Viele Menschen spielen - in Las Vegas. Oder in der Wallstreet. Die haben verstanden: Stocks and Bonds machen sich einfach nicht gut an der Wand. Und sie können alles verlieren. Wenn sie das gleiche Geld für Kunst ausgegeben hätten, wären sie glücklicher.”

Millionen für die Kunst

Glücklich sind sie selber: Seit ihr Präsident Barack Obama heißt, hat das Projekt Over the River, die Überspannung des Arkansas River mit elf Kilometer Stoff im US-Bundesstaat Colorado reale Chancen auf baldige Verwirklichung. Veranschlagte Kosten: 50 Millionen Dollar. Wie immer werden es die zwei selber finanzieren: durch den Verkauf von Skizzen und frühen Objekten.

Milliardenbeträge haben Jeanne-Claude und Christo bereits in ihre Vorhaben gepumpt, alles aus der eigenen Tasche, private oder öffentliche Sponsorengelder lehnen sie kategorisch ab: “Wir wollen Freiheit.” Ihre Projekte, sagen sie, sind wie ihre Kinder, “und wenn Kinder etwas wollen, zählt man ja auch nicht, sondern gibt gern, so viel man kann. Oft werden wir gefragt: ‘Ihr bekommt kein Geld zurück?’ Nein! Eltern erwarten ja auch nicht, dass Kinder ihnen Geld zurückzahlen.”

Und im Übrigen, sagt Christo lachend, koste sowieso jedes Projekt das Gleiche, egal wo und wie und was, ob verhüllt, verpackt, beschirmt, verhängt, umzäunt, mit Toren bestückt, ob in den Vereinigten Staaten, in Europa, Australien oder Japan, ob Gebäude oder Landschaften, Inseln, Küsten oder Denkmäler. Nicht die gleiche Summe, aber das Gleiche, nämlich: “Das, was wir haben, plus dem, was wir von der Bank bekommen.” Davon werden Rechtsanwälte bezahlt, die Grundstücke gemietet, Rechte erworben, Mitarbeiter entlohnt, Material besorgt: tausende Quadratmeter Stoff, Kilometer an Seilen, Gerüsten.

Jedes Projekt verschaffe ihnen mehr Kredit- und Glaubwürdigkeit, jede Realisation mehr Power für das nächste Unterfangen: “So wie das Geld, das man in Kinder investiert: Es ist nichts verloren.”

130 Millionen Dollar kosteten beispielsweise im Februar 2005 The Gates im Central Park: Ein Vierteljahrhundert hatten Christo und Jeanne-Claude gekämpft, mit Geduld und Leidenschaft; zwei Bürgermeister - Ed Koch und Rudy Giuliani - hatten es kategorisch abgelehnt; erst Michael Bloomberg ermöglichte die Installation aus 1.703 Toren, fünf Meter hoch, bestückt mit safrangelben Vorhängen, ein betörendes Gesamtkunstwerk aus Farbe, Licht, Wolken, schneebedeckten Ästen und der Skyline von Manhattan. Wie bei all ihren Projekten gab es auch für die Besucher im Central Park Souvenirs von den Gates: Hunderte Helfer und von den Künstlern bezahlte Parkwächter verteilten insgesamt mehr als eine Million kleine Stückchen von dem Vorhangstoff.

Das einzige Kunstwerk, das nicht zeitlich begrenzt sein sollte und dessen Finanzierung sie nicht selber übernehmen, nachdem die beiden seit 1977 bereits mehr als eine Million Dollar in die Planung investierten, ist die Mastaba für die Vereinigten Arabischen Emirate. Größer als die Cheops-Pyramide, bestehend 390.500 horizontal gestapelten Ölfässern. “Aber auch das ist nicht für ewig, höchstens für 4000 bis 5000 Jahre. Nichts ist für ewig.”

Zufall oder Liebe

Jeanne-Claude und Christo, seit fünfzig Jahren ein Paar, beide am 30. Juni 1935 geboren - er in Bulgarien; sie in Casablanca. Am gleichen Tag im gleichen Jahr: Schicksal? Das glauben sie nicht, schließlich sind am 30. Juni 1935 Millionen anderer Menschen auf die Welt gekommen.
Christos künstlerisches Talent wurde früh entdeckt, mit sechs erhielt er Privatstunden in Kunst und Architektur. 1957 floh der Kunststudent aus dem kommunistischen Bulgarien über Prag nach Wien. Um nicht im Flüchtlingslager zu stranden, inskribierte er an der Akademie der bildenden Künste - vorübergehend, “denn ich wollte natürlich sofort weiter nach Paris und New York, in die Zentren für moderne Kunst.”

Um zu überleben, wusch er Autos in Werk- und Teller in Gaststätten. Und malte auf Bestellung Porträts und Landschaften. Einige dieser Stadtansichten hatte er bei seinem letzten Wien-Besuch wieder gesehen: im Büro seines damaligen Sammlers, eines bulgarischen Wirtschaftswissenschafters. Signiert hatte Christo sein Frühwerk noch mit seinem vollen Namen: Christo Vladimiroff Javacheff.

Die Tochter dieses Sammlers wiederum, Elka Spoerri, Leiterin der Adolf-Wölfi-Stiftung, lebte in Bern in der Gerechtigkeitsstraße 40. “An genau dieser Adresse wohnte auch ich als Kind” , erzählt Jeanne-Claude. In der Schweiz lernte sie später ihren Lebensmenschen kennen: Christo hielt sich auch hier mit Porträts über Wasser, eines malte er von Jeanne-Claudes Mutter Précilda de Guillebon. Auch diesmal nicht: Schicksal? Jeanne-Claude verneint: “Was ist das überhaupt: Schicksal? Ich zum Beispiel wurde nicht geboren, um Künstler zu sein. Als Diplomatentochter hatte ich mein eigenes Pferd, einen Tennisplatz, Chauffeur. Mit einem bulgarischen Flüchtling zu leben: Das ist crazy.” Beide lachen: “Oder Liebe.”

Veröffentlicht am  16.4.2009 im Standard



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