21
Okt
Eva Schlegel: Zwischen Erscheinen und Verschwinden
Ein universelles Bild von Welt: Eva Schlegel, eine der wichtigsten österreichischen Künstlerinnen, hinterfragt mit ihrer Intervention Heimatbegriff - und Leseverhalten
Ganz klar: verschwommen. Worte, Sätze, Texte, Menschen, Wolken, Bilder, Fotografien: Eva Schlegel macht ganz schön unscharf, um den Blick zu schärfen für das Wesentliche. Für das Dahinter. Was beispielsweise, wenn der Text vom primären Informationsgehalt befreit ist: Bleibt er Text? Wird er abstraktes Bild? Wie, wenn die Weltsicht nicht von örtlichen Zuordnungen bestimmt ist? Um genau das zu klären, hat sie in dieser Standard-Ausgabe alle Städte- und Ländernamen, alle nationalen Verortungen fast unsichtbar gemacht. Paradoxe Auslassungen. Tabubruch. Denkmusterzerschmetterung. Die (Zeitungs-)Welt an der Grenze zwischen Erscheinen und Verschwinden: Der Weg zur Erkenntnis ist anstrengend - zumindest beim Lesen.
Geboren 1960 in Hall in Tirol, sei sie schon als kleines Mädchen am liebsten daheim in ihrem Zimmer gesessen und habe gezeichnet: “In Tirol war es nicht leicht für jemanden, der sich nicht für Sport interessiert hat. Dieses Anderssein war oft auch schmerzhaft. Aber wenn ich gezeichnet habe, war ich zufrieden.”
Was genau es bedeutet, Künstlerin zu sein, wusste sie zwar nicht, wohl aber, dass sie es werden wollte. Und dass sie nicht an die Akademie, sondern an die Universität für angewandte Kunst und dort zu Oswald Oberhuber wollte, das wusste sie auch. Er habe zwar keine Strukturen vorgegeben, erinnert sie sich an ihre anfängliche Verlorenheit an der Wiener Kunsthochschule; ob man da war oder nicht, sei völlig egal gewesen. “Aber das war natürlich toll: Wir mussten selber herausfinden, was wichtig für uns war.” Was sie nachhaltig geprägt hat, waren die Gäste, die Oberhuber in die Klasse lud: Joseph Beuys etwa. Oder Bonito Oliva. Oder Mario Merz: “Merz hat nur übers Scheitern geredet. Wie schwierig es ist für einen Künstler. Dass du etwas suchst und es gelingt dir nicht. Das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Das Wissen um das Suchen, aber auch das Scheitern war für mich das Wichtigste.”
1983 ging Schlegel für ein halbes Jahr nach New York, Aufbruchsstimmung und Kunstboom im Big Apple. “Aber dann habe ich in der New York Times gelesen, dass es allein in Manhattan 90.000 Künstler gibt. Die Energie, tagsüber Teller zu waschen und abends Kunst zu machen, hätte ich nicht gehabt.” Also zurück nach Wien, Diplom, im Keller der Angewandten besetzt sie ein Jahr lang einen Raum als ihr Atelier, die wichtigsten Kuratoren gehen ein und aus, unter anderem Robert Fleck, der sie später fördern und als erster ausstellen sollte, zuerst in Straßburg, dann in Berlin. Als Schlegel aus dem Kelleratelier hinausgeworfen wird, nimmt sie einen kleinen Kredit auf und beweist den Eltern, die ihre Tochter lieber als Kunsterzieherin gesehen hätten, dass sie von der Kunst leben kann.
Sie kann. Eva Schlegel, die von 1997 bis 2006 als Universitätsprofessorin für Kunst und Fotografie an der Akademie der bildenden Künste in Wien lehrte, zählt zu den erfolgreichsten österreichischen Künstlerinnen und Künstlern ihrer Generation, zweimal Biennale in Sidney, Venedig, Museumsausstellungen im In- und Ausland. Die nächste große Schau hat sie im kommenden Jahr im MAK. Nichts Genaues verrät sie, aber in ihrem Atelier im dritten Bezirk steht bereits ein Modell der Ausstellungshalle, wird probegehängt und -installiert und -aufgestellt.
Experimentierfeld abstrakte Kunst: Kürzel und Formen in Graphittafeln geritzt, auf Blei aufgezogene Fotografien, Videos; Tafelbilder, Bildobjekte, Spiegelinstallationen. Kunst im öffentlichen Raum. Kunst am Bau: Neue Materialien, Medien, Ausdrucksformen erforscht sie mit der Neugier eines Wissenschafters.
Mit ihrer Kunst, heißt es in einem Katalog, schaffe Eva Schlegel “ein allgemeines, umfassendes, ja universelles Bild von Welt, das gleichsam von dem subjektiv Besonderen gereinigt erscheint”. Auch eine Zeitung ohne örtliche Zuordnungen ergibt ein universelles Bild von der Welt.