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26
Sep

Günter Brus: Wilde Striche und Streiche

erschienen in Der Standard

“Wahrscheinlich” , konstatiert Günter Brus im ersten Band seiner Autobiografie Die gute alte Zeit vergnügt, “wahrscheinlich bin ich nur Künstler geworden, um meine Umgebung zu ärgern” . Zumindest seine Logopädin könnte dieser Theorie etwas abgewinnen. “Sie sind also die Logoblödin!” , hatte er sie kalauernd begrüßt; und statt ihn vor zwei Jahren nach seinem Schlaganfall wieder wortfit zu trainieren, kam sie nicht mehr wieder. Brus musste seine krankheitsbedingten Sprach- und Sprechdefizite autodidaktisch kurieren: Im Atelier auf- und abgehend, las er laut Heine-Gedichte. Die Therapie war erfolgreich, längst jongliert er wieder lust- und kraftvoll mit Satzfetzen und Fabelwesen und Gedankensplittern und wilden Strichen und Streichen:  ”Das Zeichnen und das Schreiben reicht zurück bis in die Kindheit. In beiden Fächern war ich schon in der Hauptschule erfolgreich.” Oder, anders ausgedrückt: ”Egal wie betrunken ich auch war, ich konnte immer zeichnen und pointiert schreiben.”

Vor zwei Jahren allerdings - seine Frau Anna und er hatten beide eine Krebserkrankung überwunden, er selbst außerdem noch eine schwere Virusinfektion, eine Bypass-Operation und den Schlaganfall - da hatte sich Brus leer gezeichnet, war, wie er selbst sagt, buchstäblich “ausgezeichnet” .

Existenzielle Erkenntnisse

Nichts mehr, was zwingend zu Papier gebracht, nichts, worüber und wozu gestichelt und gestrichelt werden musste, nichts, was ihn aufregte und anregte zu seiner einzigartigen Bildpoesie. Also Blaupause, bis er sich auf Anregung des Ritter Verlages wieder mit dem englischen Naturmystiker und Bildexzentriker William Blake (1757-1827) beschäftigte.
Schon in den 1970er-Jahren hatte Brus eine Bildserie zu Person und Werk Blakes geschaffen. Brus und Blake, zwei Grenzgänger, die um existenzielle Erkenntnisse ringen. Blake in religiösen Erlösungsfantasien; Brus, der die göttliche Vernunft leugnet.

Geboren am 27. September 1938 in Ardning in der Steiermark, wuchs Günter Brus zunächst bei seinem geliebten Großvater auf, dann holte der Vater den Buben zu sich: “Ich kam mir vor wie ein halbiertes Schlachtvieh. Um mich vor dem Ausbluten zu retten, trat ich die bewährte Flucht in die Fantasie an” , sollte er später über seine Jugend schreiben. Brus war ein schüchterner Jüngling, ein “Weltmeister im Erröten” . Vor dem ersten Liebesabenteuer streifte er das Präservativ vorsichtshalber noch zu Hause über und, ja, das war es dann auch schon. Der Gummi war im Heuschober verloren und die Angebetete dahin.

Radikale Körperkunst

Sein erstes künstlerisches Erfolgserlebnis war 1956 die Aufnahme an die Akademie der bildenden Künste in Wien: Seine eingereichten Zeichnungen waren so gut, dass er keine Prüfung mehr ablegen musste. Er malte radikal gestische, die Leinwand sprengende Bilder; leben konnte er damals von seiner expressiven Kunst nicht: “Nicht einmal geschenkt wollte man meine Bilder.”

Günter Brus: Zeichenkünstler. Humorberserker. Poet. Kalauer-Meister. Zartfühlender Bilddichter, dessen Wort- und Bildneuschöpfungen “die Muschel Schwermut in der Perle des Herzens” tragen, wie eine Zeichnung aus dem Jahr 1981 heißt. Und: Tabubrecher.

1964 führte er seine erste Aktion, Ana, durch. Gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler war Brus der Gottseibeiuns des damals muffigen, prüden Österreich; einer, der den traditionellen Kunstbegriff zertrümmern und das spießige Wiener Bürgertum aufmischen wollte mit verstörender, radikaler Körperkunst: “Sich nackt auszuziehen, war eine wahnsinnige Leistung, denn wir waren alle sehr schüchtern” , erinnern sich Günter und Anna Brus. “Aber wenn man so voller Tabus aufwächst, kann man sie ja nur der Reihe nach erledigen.” Brus erledigte seine voll Inbrunst und Wut, manchmal lyrisch, oft brachial, nie aber banal.

Lyrisch zum Beispiel der Wiener Spaziergang (1965): Völlig weiß bemalt und nur durch einen schwarzen Strich quasi zweigeteilt: So wollte er, einem lebenden Bild gleich, vom Heldenplatz zum Stephansplatz gehen, wurde allerdings nach wenigen Metern von einem Polizisten wegen Störung der öffentlichen Ordnung zu einer Geldbuße verdonnert.
Oder brachial 1968, als Brus in der als Uni-Ferkelei  berühmt gewordenen Aktion Kunst und Revolution im Hörsaal 1 der Wiener Universität auf den Tisch und auf die österreichische Fahne gekotzt und onaniert und den Darm entleert und dabei die Bundeshymne gesungen hatte. “Ich sage das immer wieder, da war von mir überhaupt keine Ästhetik geplant, nicht im mindesten. Ich wollte nur schocken. Ich wollte die maximale Schockwirkung” , sagt er heute.

Doch für die Aktionisten höchst erstaunlich war da zuerst einmal: nichts. Keine Reaktion. Brus traf seinen Freund Oswald Wiener im Kaffeehaus und stellte enttäuscht fest: “Wir haben versagt.” Doch zwei Tage später zeitigte der Schock umso heftigere Wirkung: “Wir waren völlig in den Krallen der Justiz und der Gesellschaft.”
Nachbarn zeigten das Ehepaar Brus bei der Fürsorge an, die ihm die kleine Tochter Diana wegzunehmen drohte. “Die Vehemenz war nicht vorhersehbar” , wundert sich der Künstler noch heute. Brus kam in Untersuchungshaft, wurde wegen “Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit” zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und flüchtete schließlich 1969 nach Berlin.

Bild-Dichtung

Ehefrau Anna Brus, Mitwirkende in vielen Aktionen, sorgte im Exil als gelernte Schneiderin fürs Familieneinkommen, der Künstler kümmerte sich vorerst ums Kind, gründete mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm die Österreichische Exilregierung und gab als “Regierungs-Zeitschrift” die Schastrommel heraus.

Mit der Zerreißprobe 1970 in München beendete er die aktionistische Zeit: “Wer diese Aktion kennt, weiß: Bei der nächsten wäre er gestorben” , sagt Anna. “Wir haben damals viele Gespräche geführt, wie es weitergehen könnte. Wir hatten ja ein Kind. Ich wollte auf keinen Fall einen Mann, der sich verstümmelt oder stirbt.”

Sein Buch Irrwisch markierte den Übergang von der Körper-Kunst zur Bild-Dichtung und wurde rasch zum Kult- und Sammelobjekt. 1979 kehrte er nach Österreich zurück, die Haft- wurde in eine Geldstrafe umgewandelt. Mehr als 60.000 Zeichnungen hat Brus seither in internationalen Ausstellungen, in Museen, auf Biennalen und der Documenta gezeigt, 1997 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.

2012 wird im Grazer Joanneum ein Brus-Museum eröffnet: der Vertrag für dieses Bruseum wird am 26. September 2008 unterzeichnet. Das Ziel, das er sich als junger Künstler gesteckt hatte, hat er erreicht: “Ich habe nichts anderes vorgehabt, als berühmt zu werden.”

 



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