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30
Jan

Impressionismus: Freiheitsutopien der Lichtmaler

Weltweit zelebrieren Ausstellungen 140 Jahre Impressionismus. Nach dem Belvedere mit Monet feiert auch die Albertina mit Leihgaben des Musée d’Orsay. Nie zuvor hat das Pariser Museum so viele Werke en bloc verborgt.

Die akademisch-formalistische Rechthaberei der Salonmaler und ihrer (finanzkräftigen) Bewunderer ging den Pionieren der impressionistischen Malerei gehörig gegen den Pinselstrich. Sie wollten sich vom Diktat des einzig Wahren und Schönen lösen, theoretische Regelwerke und zwänglerische Dogmen entstauben. Sie brachen gesellschaftliche und künstlerische Tabus, malten unter freiem Himmel das Licht. Sie tupften und fleckten reine Farbe oft direkt aus der Tube auf die Leinwand, beschäftigten sich in geradezu seriellem Furor mit Formen und ihrer Auflösung.

Sie zelebrierten ihr Außenseitertum und revolutionierten radikal Sehgewohnheiten, mehr noch: die Kunst, den Markt, die Rezeption. Selbstorganisierte Gruppenschauen fanden statt, die erste 1874. Damals inspirierte Claude Monets Werk Impression einen Kritiker zur - despektierlich gemeinten - Namensgebung. Es gab Soloausstellungen in Privatgalerien. Händler Paul Durand-Ruel, dem eine vom Pariser Musée du Luxembourg konzipierte Schau in London gewidmet ist, eröffnete für seine Schützlinge sogar eine Filiale in New York.

Auch 140 Jahre später boomt die künstlerische Freiheitsutopie - ebenso wie die Preisgestaltung (siehe untenstehenden Artikel). Die Salonmaler, ihr mythologisches Pathos, ihr belächelter akademischer Kanon indes wurden sorgsam in Hinterstuben verräumt. Genau dort wurde der Kurator Werner Spies für sein erstaunliches Archiv der Träume fündig. Sechs Monate stöberte er in den Depots des Pariser Musée d’Orsay - und hob ungeahnte Schätze. Aus 90.000 Kunstwerken wählte er schließlich knapp 300 Blätter - Zeichnungen, Gouachen, Aquarelle, Pastelle - und hängte kühn Salonkünstler zu Impressionisten, damalige Verkaufsschlager gleichberechtigt zu heutigen Blockbustern. Dass die Ausstellung nach ihrer Premiere im Musée d’Orsay nun in der Wiener Albertina zu sehen ist, gilt als Sensation: Das Pariser Museum habe, so Spies, noch nie so viele Meisterwerke auf einmal außer Haus gegeben wie nun an die Albertina, mit der “weltweit bedeutendsten grafischen Sammlung”.

Welch großartiger Erkenntnisgewinn, wenn sich nun etwa Alexandre Cabanels Geburt der Venus, die Napoleon 1863 in jenem Salon kaufte, aus dem Edouard Manet hochkant hinausflog, just mit dessen Frau mit Katze die Ausstellungswand teilen muss. Links die mythisch überhöhte, von Putten umschwärmte Göttin; rechts eine selbstbewusste junge Frau - angeblich Manets erster Entwurf für sein Skandalbild Olympia -, die keck aus dem Bild blickt.

Spies zeigt, natürlich, die impressionistischen Meister, Degas, Cézanne, Seurat, aber auch die ganze Bandbreite dazwischen, davor, danach. Nie verfällt er in geschwätziges Namedropping, respektvoll arrangiert er eine labyrinthische Kunstentdeckungsreise durch das 19. Jahrhundert, mischt mit leichter Eleganz magischen Realismus, suggestiven Symbolismus, Impressionismus, Historismus, Pointillismus, Landschaften, Dämonen, Göttinnen, leichte Damen. Alles.

Dass das 19. Jahrhundert Fundament und Rückgriffsgebiet für zeitgenössische Kunstschaffende ist, dokumentiert übrigens auch das die Ausstellung begleitende Künstlerbuch. Da stellt etwa Michael Haneke ein Standbild aus seinem Film Das weiße Band Fernand Khnopffs Frauenbildnis gegenüber; Botho Strauß denkt über Odilon Redon nach, Wim Wenders über Cézanne.

Der Impressionismus gilt als Geburtsstunde des autonomen Künstlers, oder wie Werner Spies es formuliert: “Der Möglichkeitsmensch tauchte auf. Da geht es nicht um Erkennen, sondern darum, dem Auge zuzusehen, wie es sieht.” Die Wiener Präsentation ist keine impressionistische Weihefeier. Sie stellt Fragen über starre Normen und Regeln - und die Schönheit freien Handelns. Nicht nur in der Kunst. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 30.1.2015)



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