04
Dez
Meina Schellander: “Ich begebe mich auf mehrere Wege gleichzeitig”
Verspannungskünstlerin Meina Schellander verknüpft ihre Seelenlandschaften mit der realen Welt.
Natur heilt heißt eine Arbeit aus ihrer Serie Zeit-Land-Anteile: Fotografien vom Himmel, von vertrockneten Sonnenblumen, Baumrinden, Waldstücken, Stoppelfeldern stellt sie Zeichnungen gegenüber; greift die Formenvielfalt der Natur auf, entwickelt sie weiter. Spinnt sie fort.
Oder sie hängt riesige Fotos in die Landschaft, ein über die Straße gespannter, buchstäblich spannender Dialog zwischen realer und Kunstlandschaft. “Mein eigener Innenraum besetzt mich stärker als der, den ich außen sehe. Und wenn ich sage: Ich bin leer, dann bringe ich genau diesen Leerraum in die Kunst. Wir sind alle Teil dieses Kosmos.”
Seit den 1970er-Jahren verknüpft Meina Schellander ihre inneren Räume mit der Außenwelt, ihre Seelenlandschaften mit der Natur. Manchmal tut sie das im wahrsten Sinn des Wortes, umnäht und umschlängelt Kirchen und Häuser mit dicken Seilen: “Ich kann das in mich aufwickeln wie auf eine Spule und dann wieder abwickeln.”
Composite elements nennt Verspannungskünstlerin Meina Schellander jene Serie, die sie eigens für diese Klima-Schwerpunktausgabe des Standard gestaltet hat: Kompositionen aus verschiedensten Phasen ihres Schaffens, versehen mit Sprache und neuem Sinn. In neuem Licht. “Ich arbeite in großen Bögen. Bei mir ist alles in Schichten aufgebaut: malerisch, zeichnerisch, sprachlich. Ich begebe mich immer auf mehrere Wege gleichzeitig.”
Geboren 1946 als Tochter einer Schneiderin in Ludmannsdorf in Kärnten, wurde ihr die Liebe zum Faden, die Faszination der Linie schon in die Wiege gelegt: “Meine Mutter hat Tag und Nacht genäht. Und ich habe ihr geholfen, vor allem in den Ferien habe ich mitgearbeitet, von klein auf eingefädelt.” Die Mutter, erinnert sich die Künstlerin, habe ohne exakte Schnitte genäht: “Sie hat auf den Menschen, auf den Körper, hingearbeitet. Bei mir passiert nichts anderes. Ich sehe den Platz und arbeite auf ihn hin. Ich sehe den Raum und weiß, was ich zu tun habe. Wenn es passt, dann bin ich glücklich. Dieses Glückserlebnis lässt sich kaum ersetzen.”
Steinschwere Kunst
Ursprünglich wollte das Mädel vom Land ihr Glück als Volkschullehrerin finden. Aber kurz vor der Matura ermunterte sie die Zeichenlehrerin zur Aufnahmsprüfung an der Akademie in Wien. Schellander studierte Grafik bei Maximilian Melcher, machte ihre ersten Bewusstseinsskizzen, las Wittgenstein, schrieb das Manifest Das kranke Haus der kranken Gegenstände und wuchs nach zwei Jahren an der Akademie mit ihren Objekten prakatisch über sich und die Meisterklasse hinaus. In ihrem winzigen Studentenzimmer mussten die Fenster immer offen bleiben, denn “Teile der Objekte haben durch das Fenster ins Freie geragt”.
Meina Schellander, alleinerziehende Mutter einer mittlerweile erwachsenen Tochter, ist keine, die sich von der normativen Kraft des Faktischen zu Kompromissen zwingen lässt, nur um eventuell ein bisschen sorgenfreier leben zu können. “Brav Bilder malen, zu einer Galerie gehen und ausstellen: Das war mir suspekt. Mich interessieren so viele Dinge, da kann ich nicht sagen: Danke, das passt nicht in mein Vokabular.”
Mit Steinen, die schon von der Natur abgerieben und geformt sind, arbeitet sie besonders gern. Ein Stein, siebzehn Tonnen schwer, “ein Trumm, das aussieht wie ein Untier”, wartet beispielsweise seit 1976 darauf, von ihr in Kunst umgewandelt zu werden. Immer wieder muss sie größere Projekte unterbrechen, weil das Geld fehlt. “Und irgendwann fragt man sich dann schon: Kann ich das nach 20, 30 Jahren überhaupt noch so machen wie geplant?” Anfangs wurde die Künstlerin von der Mutter unterstützt. “Das Wenige, das sie hatte, hat sie immer mit mir geteilt und ist zu mir gestanden - auch während meiner kritischen Phasen.” Kleine Pause: “Und die sind eigentlich eh immer da.” Auch wenn sie mittlerweile ganz gut verkauft, vor allem kleinere Arbeiten: “Die liebe ich selber. Aber die wollen andere auch. Von den großen Arbeiten gäbe es jede Menge, von denen ich mich losreißen könnte. Die lagern in Kartonagen, fein säuberlich beschriftet. Keiner kommt und holt das ab.”
Ihre erste große Arbeit im öffentlichen Raum realisierte sie1973 mit dem Findling im Kärntner Krastal: ein riesiger, tonnenschwerer Stein, meterhoch über dem Boden schwebend; und ein bisschen schwebte und schwang die Künstlerin mit, bei Wind und Wetter, die Innenwelt in der Außenwelt in der Kunstwelt:
“Ich war scheinbar immer bestrebt, die Schwere aufzulösen. Das Gewicht, das einen belastet, vom Boden aufzuheben, aber trotzdem real im Raum zu bleiben.” (Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe, 05./06.12.2009)