30
Mai
Rund um EURO, Festwochen und Hering: Unverrückbare Erkenntisse
Unverrückbare Erkenntnisse, römisch eins: das Leder ist rund, die Euro bald angepfiffen und noch schwelt in Wien der Streit, wo Fanmeilen und wo sicher nicht. Leider hat sich die Donauinselfraktion nicht durchgesetzt, weshalb der Ring bald teilgesperrt, das Burgtheater ganz zu und die Prater Hauptallee längst von Containerklos gesäumt ist. Statt der Straßenbahnlinie 21, die gegen heftige Bevölkerungsproteste eingestellt wurde, was ewig schade ist, weil: runter in die U-Bahn, rauf in den Bus, rüber in die Straßenbahn ist für betagtere und fußmarode Menschen schwer zu bewältigen, also statt dem 21er gibt es die neue U2 und über die darf geschwärmt werden. nur die neuen Stationen sind noch ein bisschen frosttemperiert. Der Bahnhof am Praterstern wurde im Zug der EURO vom städtebaulichen Schmuddeleck zum schlichten, weltstädtischen Architektur-Statement - Albert Wimmer und seinem Architekturbüro sei dank. Nur ein paar Schritte weiter herrscht, architekturmäßig gesehen, allerdings das sehr große Huch. Warum man im Jahr 2008 am Pratereingang ein „Wien um 1900″ implantiert, weiß vermutlich nur die politisch dafür verantwortliche Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska; Klarheit herrscht hingegen darüber, dass wir Wienerinnen und Wiener draufzahlen, nämlich 32 Mio. Euro, die diese Kitsch- und Quatschorgie kostet.
Unverrückbare Erkenntnisse, römisch zwei: Mai/Juni ist Wiener Festwochenzeit. Der belgische Theatermann Luc Perceval sollte bei diesem frühjährlichen Fitness- und Welness-Programm für Herz und Hirn unbedingt und in alle Ewigkeit fixstarten. Seine Interpretation von Shakespeares „Troilus und Cressida” war überwätligend; ja, genauso muss Theater sein; danke, dass die griechischen Götterschlachten nicht in aller epischen Breite werkgetreu nachdeklamiert, sondern verdichtet wurden zu aufregenden, mitunter sehr komischen, berührenden, aufwühlenden, allgemeingültigen zwei Welttheatersternstunden über Gewaltgeilheit, Kriegsmüdigkeit, Aussichtslosigkeit und Liebe, ja, um die ging es auch am Rande. Bühnenbild, Kostüme: alles großartig, und erst die Schauspieler! Ich wüsste nicht, bei wem beginnen und wo enden im großen Lob.
Unverrückbare Erkenntnisse, römisch drei: Welttheatersternstunden finden auch jenseits von festen Wochen statt. Z.B. im Wiener Akademietheater. Markus Hering in Gert Jonkes „Freier Fall” ist schlicht genial. Der Poet Jonke hat ein unbeschreiblich absurd-apokalyptisch-schön-komisch-wortgewaltiges Stück dem wunderbaren Selbstmordspezialisten-Künstler-Helfer-Träumer-Liebhaber-Menschendarsteller Hering sozusagen an den Leib gedichtet. Verständlich. Markus Hering ist einer der herausragenden Männer auf deutschsprachigen Bühnen. Vermutlich der herausragendste.
Und nun das Beste zum Schluss, Triumph der Kunst über den Sport: auch nach der EURO wird im Akademietheater immer noch frei gefallen.