01
Aug
Von stationärer Sommerfrische und anderen Inszenierungen
Ich kann mir schon vorstellen, was Sie jetzt denken: nämlich, dass jede anständige Kulturjournalistin zur Zeit in Salzburg residiert und, verkleidet als Prada-Fendi-Gucci-Trutschi, gewissenhaft Fest- und andere Gesellschaftsspielpläne studiert. Außerdem vorher, nachher und zwischendurch Festival-Tourneen quer durch Österreich unternimmt. Prinzipiell richtig gedacht. Nur, leider, finden die Sommerfestivals, wie ihr Name schon sagt, im Sommer statt. Und da bin ich mehrzeitlich verhindert. Ich gehöre nämlich der vom Aussterben bedrohten Neigungsgruppe der stationäre Sommerfrische an. Heißt: ich übersiedle Anfang Juli meine wichtigsten Arbeitsutensilien, iPod, Notebook, meine Kinder, sowie ausreichend Literatur und Lesefutter von Wien in ein Bootshaus an einem Kärntner See und, ja. Rühre mich nur in äußersten Notfällen - etwa zum Nachschub von Zeitungen, Milch, Brot, Sonnen- und Eiscremes - von der idyllischen Stelle. Nicht immer leicht, diese selbstverordnete Kultur-Abstinenz. Denn Punkt Ferienbeginn verwandelt sich Österreich in eine Opernair-Bühne. Auf Burgen, in Schlössern und Klöstern, hinter jedem Kuhstall eine Sommer- auf jedem Teich eine Seebühne, Musicals, Operetten, Dramen spielen sich ab vom Boden- über Neusiedler- und Wörther- bis an den Ossiachersee. Mittendrin Salzburg, diese Festung Hohen Kunstgeschmacks. Mutter aller Festspiele. Nabel der Welt. Und ein neuer Festspielintendant. Sehr sympathisch. Jürgen Flimm sagt, dass Salzburg endlich in der Gegenwart ankommen muss, denn die Uhren ticken in Richtung Zukunft. Konkret sieht das dann so aus, dass die radikale Gegenwart der 1960er offenbar die gegenwärtigste Gegenwart ist, die für heuer zu kriegen war. Vor 40 Jahren verdichtete Thomas Bernhartd seine Hassliebe zu Salzburgs Festspielauftrieb auftragsgemäß zu seinem „Fest für Boris”; doch das „Lieblosigkeitsgastmahl” (©FAZ ) dreizehn beinloser Krüppel bei ihrer ebenfalls beinlosen Wohltäterin wurde dem Publikum damals nicht serviert; und heuer nicht bein-, sondern eher zahnlos aufbereitet. Also gegenwärtig keine Bernhardsche Anti-Jedermann-Provokation, dafür religiös-moralisch-kitschiger „Jedermann”-Grusel mit hervorragenden SchauspielerInnen am Domplatz. Dass Andrea Breth in Salzburg Oper inszeniert: großartig! Und obwohl Netrebko- und Vilazon-frei, brachte der ORF Tschaikowskys „Eugen Onegin” im Sonntag-Hauptabendprogramm. Danke! Auch wenn die Quote flau war. Vermutlich sind wir völlig seitenblickeversaut, sehen statt Kunst lieber Glanz und Glamour, Geld-und Blutadel, A-B- und C-Promis, aufgebrezelt, aber hallo! Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler outet ihre ganz persönliche Premiere: erstmals Leggings, weil sie ihre schönen Beine nicht in weiten Hosen verstecken möchte. Plusminus 205 Events wird sie besuchen. Macht ca. 10 Minuten für eine Ausstellung. Arg wenig, um was zu sehen. Aber genug, um gesehen zu werden. Und ich? Schaue aufs tiefdunkle Wasser, der Vollmond hängt seine blassgelbe Kugel in den ruhigen See. Dramatische Inszenierung. Kitschig? Schön! Sommerfrische eben.