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25
Jun

Franz Ringel: Der Künstler als Serientäter

Farbiges Formengewirr, dichtes Liniengestrüpp, rabiate Striche und Striemen, Vergitterungen, Figuren und Köpfe, Geschichten und Gesichter, Assoziationen, Wirklichkeiten, Mythen, Mäander - auf den Bildern von Franz Ringel geht es heftig zu; der Künstler quasi ein malender Serientäter, der mit mächtigen, wütenden Hieben die Leinwand streichelt, Protokoll führt über seine Ängste, Obsessionen, über seinen Schmerz, seine Trauer, seine Leidenschaften, Forschungen, Erkenntnisse. „Ringel malt keine Ideen. Er coloriert bloß seine Geister”, schrieb sein Dichterfreund Wolfgang Bauer 1999 und weiter: „Durch Ringel auf den Verdacht gekommen: Irgendwie schauen die Bilder ihren Malern ähnlich (Nicht nur bei Selbstportraits!)”

In der Tat sind Franz Ringels Wege von der Wiege bis zur Kunst, vom Landarbeitersohn zum Kunst-Star, so verschlungen wie die Farbschnüre auf seinen Bildern. Sein Vater ein Findelkind, aufgelesen unterm Gebüsch, aufgewachsen unter lauter anderen Findelkindern auf einem Bauernhof, im Brotberuf Roßknecht und Landarbeiter, die Mutter Wäscherin. Franz Ringel wächst auf einem Landgut in der Nähe von Graz auf, eine vogelfreie Kindheit ohne Verbote, „nur um acht Uhr abends haben wir zu Hause sein müssen, denn da ist das Haus zugesperrt worden.” Nachbarn auf dem Gut in St. Martin bei Graz war der damalige steirische Landesschulinspektor; seine französische Ehefrau eine Intellektuelle, zu ihrem Bekanntenkreis gehörte Sartre, sie war im spanischen Bürgerkrieg und in der Resistance. Nach einem schweren Verkehrsunfall besagten Landesschulinspektors erledigte der damals achtjährige Franzi die Einäufe für das Ehepaar, ein willkommenes Kontrastprogramm zum elterlichen Arbeitermilieu. Als der Ehemann wieder genesen war, fragte er in der Familie Ringel an, ob Sohn Franz fortan nicht für immer bei ihnen wohnen dürfte?

Ein moralisches Angebot, dass niemand ausschlagen mochte: die Eltern nicht, die einen Esser weniger im Haus hatten. Und der kleine Franz auch nicht, dessen Zukunftsperspektiven sich schlagartig verbesserten. Mit seinen Zieheltern übersiedelte er später in die Stadt; zu seinen leiblichen Eltern hatte er nach wie vor ein gutes Verhältnis, der Vater war bei allen Ausstellungen in Graz dabei, denn „Vernissagen haben ihm immer gefallen, er hat gern Gesellschaft gehabt. Ich habe ihn auch mitgenommen zum Wolfi Bauer ins Forum Stadtpark, da hat den Gustav Ringel jeder gekannt. Das hat ihm wirklich getaugt.”

In Graz besuchte der Ringel die Hauptschule, der Schlingel trieb dort allerdings allerhand Unsinn und flog schließlich gemeinsam mit seinem besten Freund Hans Kresnik von der Schule. Beide enfants terribles, damals. Und heute. Kresnik begann damals eine Lehre als Werkzeugschlosser und endete als Starchoreograph mit erhöhtem Verstörungspotential. Franz Ringel wurde von seiner Ziehmutter daheim unterrichtet und schloss die 4. Klasse extern ab.1954 besuchte er endlich die Keramikklasse bei Professor Adametz auf der Kunstgewergeschule in Graz, und übersiedelte 1959 nach Wien: „Ich wollte so schnell wie möglich aus Graz wegkommen. Vor lauter Eile bin ich schließlich sogar im falschen Zug gesessen und über die Oststeiermark nach Wien gefahren.” An der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien studierte Ringel vorerst bei Hans Knesl und wechselte schließlich 1960 an die Akademie der bildenden Künste zu Sergius Pauser. Der schmiss ihn allerdings nach einem Jahr hinaus, Ringel absolvierte das Bundesheer und kehrte ein Jahr später an die Akademie zu Albert Paris Gütersloh zurück. Selber unterrichten hat ihn nie interessiert. „ Aber heute arbeiten alle darauf hin, Professor zu werden, bevor sie noch ihr Studium fertig gemacht haben” wundert er sich.

Seit den 60er Jahren ist Franz Ringel berühmt und berüchtigt in der Kunstszene (Nicht nur in der österreichischen). Mehr als hundert Bilder hat allein Karl-Heinz Essl gesammelt - geordnet nach Themenblöcken bilden sie nun den Schwerpunkt der Ringel-Retrospektive im Essl-Museum. Auch ganz frühe Arbeiten aus dem Jahr 1957 sind darunter: Holzschnitte, entstanden noch auf der Kunstgewerbeschule in Graz. Der angehende Künstler wurde damals mangels Verkaufserfolgs von den Zieheltern finanziell unterstützt - bis, ja, bis Franz Ringel anlässlich eines Grafikwettbewerbs in Innsbruck den Kunstkritiker und Kulturmanager Otto Breicha kennenlernt. Oder, anders formuliert, Otto Breicha erstmals auf die Kunst von Franz Ringel aufmerksam wird. 1964 stellte Ringel erstmals in der Wiener Secession aus: damals noch als Solist, vier Jahre im Sextett mit Martha Jungwirth, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz, Wolfgang Zeppl-Sperl. Titel der Gemeinschaftsausstellung: „Wirklichkeiten”. Der „Aufmarsch der Krokodile” (©Alfred Schmeller: „Die Sehschlacht am Canal Grande”) wurde heftigst kritisiert: „Die großen Chefs waren damals die Phantastischen Realisten. Und wir waren ihre Gegner.Wir waren eigenständig. Die ‚Wirklichkeiten’ waren ja eher eine lose Geschichte, es war keine Philosophie dahinter oder Politik.” Abgesehen von einem museumsreifen „Wirklichkeiten-Block”, den Breicha damals erwarb, war der auch der erste Sammler des jungen Franz Ringel:. „Der Breicha ist damals ins Atelier gekommen, hat auf ein paar Bilder gezeigt und gefragt, was die kosten. I hab’s ehrlich nicht gewusst”, erinnert sich Franz Ringel und lacht vergnügt: „I hab ja bis dahin noch nichts verkauft gehabt. Der Breicha hat dann 200 Schilling pro Blatt angeboten. Ein Wahnsinn”, sagt Ringel und lacht wieder sein typisches, verhaltenes, ironisches Lachen. „Zum Vergleich: meine Miete damals war 150 Schilling im Monat. Er hat 500 Schilling angezahlt! Das war unglaublich viel Geld für mich und ich bin vor lauter Glückseligkeit mit einem roten Schädel abgehaut. Und mit dem Zeppl-Sperl haben wir in der AIDA bei der Oper gefeiert.” Ach ja, nur zum Vergleich: die Blätter, die damals 200 Schilling gekostet haben, die sind heute für 5.200 zu haben -5.200 Euro natürlich. Nicht Schilling.

Herzig, Robert Zepl-Sperl: „Sechs malende Krokodile sperren den Rachen auf, schnappen nach dem Betrachter, sind menschengierig, figurativ, gehen aufs Ganze: nicht auf Streifen, Muster, Abgezogenes. Sie schnappen: der gute Biss für jeden. Die ‚Wirklichkeiten’ sind heute gefährlich wie die Schläfrigkeit der Echsen”, schrieb Alfred Schmeller am 17. 5. 1968 für die Süddeutsche Zeitung über die sechs jungen Maler, Jahrgang 1940 bis 1944, die von dem Kritiker Otto Greicha aufgespürt und zusammengefasst wurden. „Die ‚Wirklichkeiten’ sind damals sehr heftig kritisiert worden. Damals waren ja die Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus die großen Chefs”, erinnert sich Franz Ringel: „Die Wirklichkeiten waren ja eher eine lose Geschichte, da war keine Philosophie dahinter oder Politik. Aber wir haben immer gemeinsam ausgestellt.” Und, sagt Franz Ringel, er halte heute immer noch Kontakt zu den Wirklichkeits-Malern.

Er persönlich sei damals vor allem von der „Cobra”-Gruppe fasziniert gewesen: Der Name COBRA ist aus den Anfangsbuchstaben der drei europäischen Hauptstädte Copenhagen, Brüssel und Amsterdam abgeleitet, jenen Zentren, von denen aus die COBRA-Künstler unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gemeinsam agiert haben. COBRA-Kunst war spontan und experimentell, wichtige Impulse gab es von Kinderzeichungen, der Kunst von Außenseitern und primitiven Kulturen; typisch die Kraft der Farben, die spielerischen Phantasie - gepaart mit Humor und Lebensfreude.

Zufall? Schicksal? Anlässlich der Jugendbiennale in Paris wurde Weltstar Jean Dubuffet auf die Psycho-Malerei aus Österreich aufmerksam, kaufte Ringel gleich drei Bilder ab und vermittelte ihn an eine Pariser Galerie. Auftakt zu einer lebenslangen Freundschaft - und einer internationalen Karriere.

Seine Bilder aus den 60er Jahren haben Ringel berühmt und berüchtigt gemacht. Das Unbewusste wurde ihm zur Energie- und Motivationsquelle, über die Jahre fließen in die Darstellungen psychologischer Zustände geschichtliche und literarische Bezüge ein. „Es ist schwierig zu sagen, wie etwas entsteht. Wenn etwas fremd ausschaut, wenn ich etwas nicht kenne: das interessiert mich. Die schönsten Momente beim Malen sind, wenn etwas fremd wird.” Kein Wunder, dass ihn Odysseus, Orpheus und Dante - die Abenteurer in der Fremde - zu Bildzyklen inspiriert haben.

In den 1980er Jahren gab es in Ringels Kunst einen augenfälligen Bruch: „Ich kann mich erinnern, dass damals ein Sammler ins Atelier gekommen ist und gesagt hat: ‚Franz, des kannst mir net antun’. Ich hab ihn aus dem Atelier gehaut.” Der wilde Ringel malte lötzlich Stillleben! Blumen! Porträts! „Das davor: das war zu eng. Die Veränderung war wie Luft auslassen. Ich habe mir gedacht, ich kann ja so viel. Warum spiele ich das nicht aus?” Parallel zum Malstil veränderte Ringel auch seine persönlichen Lebensumstände - oder waren es vielmehr die veränderten Lebensumstände, die ihn zu einem neuen Malstil verhalfen? Damals lernte Ringel seine vierte Frau kennen: Maria, seinen Lebensmenschen. Viermal war er insgesamt verheiratet: beim ersten Mal, als 21jähriger, war er gleichzeitit auch der Vormund seiner damals 17jährigen Frau. das erste Kind, Katrin, war bereits unterwegs, während der Schwangerschaft zur zweiten Tochter Jasmin ging die Ehe aber auch schon wieder in die Brüche.



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