25
Mai
Walter Pichler: Eine Welt für sich
Metall, Blei, Holz, Beton, Glas, Bronze, Zeichenstifte natürlich, aber auch Raum, Proportionen, Erinnerung, Licht, sogar Wasser und Zeit, ja, vor allem: Zeit . Das sind die Werk-Stoffe, aus denen Walter Pichler sein einzigartiges Universum aus Zeichnungen, Modellen, Skulpturen und Häusern schafft. Basis jeder Form, Ausgangspunkt aller Arbeit ist die Zeichnung: Gedanken zeichnen, Emotionen ausdrücken, Projekte entwerfen, psychische Zustände bewältigen, Plastiken entwickeln von allen Seiten, Ansicht und Draufsicht und Einsicht, otimale Behausungen für die Skulpturen planen in allen Einzelheiten, Erinnerungen transformieren: so wie andere schreiben, so zeichnet er. Wenn Walter Pichler bei einer Zeichnung nicht weiterkommt, dann geht er in die Werkstatt und arbeitet dort zwei, drei Wochen, arbeitet an Skulpturen und Häusermodellen, auch die meisten seiner Möbel hat er selbst gebaut, berühmt etwa das Pichler-Bett und die Pichler-Sessel, er schweißt, lötet, hämmert, bohrt, sägt, schleift, „denn wenn die Hände beschäftigt sind, ist der Kopf frei. Ich bin kein abstrakter Denker, keiner, der tagelang in sich hineinhorcht.. Deshalb arbeite ich gern manuell.” Und zwar jeden Tag, idealerweise tagsüber in der Werkstatt, abends am Zeichentisch. In Wien ebenso wie im Südburgenland. Ordnung der Gedanken. Ordnung der Orte. Walter Pichler ist ein ordnender und ein verortender Künstler; ein eleganter Stadtmensch, stets in feines Tuch gekleidet, passionierter Raucher, interessierter Ausstellungsbesucher, sporadischer Kinogeher. Seit vierzig Jahren hat er sein Atelier in der Wiener Innenstadt, über die Jahre ist es von der kleinen Dachkammer zum großzügigen und weitläufigen Lebens- und Arbeitsraum angewachsen und in Fußdistanz zu seinen Stammlokalen. Ein Stadtmensch also, und dennoch hat er 1971 ein altes Bauernhaus im Burgenland, in St. Martin an der Raab, gekauft, der besseren Arbeitsbedingungen wegen und weil er hier seine Idee von Skulptur-Architektur-Raum-Umwelt am besten verwirklichen konnte. Von der Haustür aus blickt man nach Slowenien, das Dreiländereck Österreich-Slowenien-Ungarn ist nah. Eine ärmliche Gegend, fünf Hektar Grund für 240.000 Schilling, ein Traumgrundstück im Sonderangebot, „das Haus haben sie mir dazu geschenkt. Wenn die Baggerstunde nicht so teuer gewesen wäre, hätten sie es längst weggeschoben”. Noch am selben Tag ist Pichler in das baufällige Haus eingezogen, bei Regen hat er mit dem Kübel das Wasser aufgefangen. Ein burgenländischer Landesrat bot an, die Dachreperatur zu subventionieren: Pichler lehnte dankend ab, „obwohl ich das Geld gut hätte brauchen können. Aber ich möchte unabhängig sein. Ich zahle alles aus meiner eigenen Tasche, ich will keine Unterstützung, keine Subventionen. Sonst bin ich nicht mehr Herr im eigenen Haus.” Oder, besser gesagt, in den eigenen Häusern: neben Wohnhaus, Werkstätte, Schuppen, einem kleinen Wohnhaus für die Familie seiner Tochter Anna stehen auf dem Anwesen die Häuser für die Skulpturen, auf den ersten Blick unterscheiden sie sich nicht allzu sehr von den bäuerlichen Wirtschaftsgebäuden in der Umgebung. Prompt meinten die Bauern: „Jetzt fängt der Pichler an zu wirtschaften, jetzt baut er schon einen Silo”. Zwei Häuser sollten es ursprünglich werden, mittlerweile sind es sieben, zwei im Bau, ein weiteres projektiert: schlichte, feierliche Behausungen meist aus Holz, manchmal Ziegeln, meist mit Lehmböden, Land-Art in bestem Sinn, Häuser-Kompositionen in genau ausgeklügelten Proportionen zueinander, mit exakt berechneten Licht-Einfällen, perfekten Dimmensionen, Pfeilern, Nischen, zu ebener Erd und im ersten Stock, turmhoch das eine, langgestreckt das andere, rund das nächste - ein überwältigendes architektonisches Gesamtkunstwerk, Heimstätten für den großen und den kleinen Bruder; für die Schädeldecken (eine wartet übrigens noch in der Werkstatt auf die Übersiedelung). Für den Aufpasser; für die bewegliche Figur; für den Betrachter (ein Porträt von Dieter Roth, dem Walter Pichler den Körper dazu gebaut hat); für das alte und das neue Bett; für die Tröge, für das Kreuz. Apropos Kreuz: ein Meisterstück was die Wahl der Materialien betrifft, bestes Beispiel für Pichlers metallische Fähigkeiten, jedes Gelenk, alles selber gemacht, gelötet, genietet, „ich habe dabei viel gelernt; drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Wenn du so etwas gemacht hast, dann sind andere Metallarbeiten kein Problem mehr.” Meist gibt es zuerst die Skulptur und dann erst werden die Behausungen drum herum geplant, gezeichnet, im Modell gebaut und schließlich realisiert. Andererseits: der Turm, der war zuerst da, und dann erst kamen die Skulpturen ein kühnes Unterfangen, diese hohen, schlanken, edlen Figuren in diesen engen Turm hineinzusiedeln. In der penibel aufgeräumten Werkstatt („ich mag das Werkzeug einfach nicht suchen, daher lege ich Wert auf möglichst grosse Ordnung”) warten die drei Stäbe noch auf ihr eigenes Haus; geplant ist es schon, aber zuerst möchte Walter Pichler noch zwei angefangene Projekte realisieren -die Passage etwa, die eine bestehende Scheune durchbohrt: erstmals kein Gebäude für Skulpturen, sondern skulpturale Architektur .
„Es stellt sich ja die Frage: wo beginnt die Plastik.Wo hört sie auf? Alles hier entspricht exakt meinen Vorstellungen. Ich wollte immer Häuser für meine Skulpturen machen, weil es nur konsequent ist, dass sie ihren idealen Platz, optimale Lichtverhältnisse haben. Außerdem muss man dann auch nicht mehr so viel erklären, sondern braucht nur zu zeigen: so schaut es aus.”
Nur konsequent eigentlich, dass die Skulpturen unverkäuflich sind. Nur konsequent auch, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn Pichlers Skulpturen zu Ausstellungen verreisen dürfen. Swohl im Städelmuseum in Frankfurt als auch im Stedelijk-Museum in Amsterdam erinnert man sich an durchaus umfangreiche räumliche Interventionen; an ausgebaute Türen, an neu geschaffene Fluchten, einiges davon blieb als dauerhafte architektonische Verbesserung. „Optimal wäre eine simple Halle, in der man alles aufführen kann, mit allen technologischen Möglichkeiten…. In Wahrheit braucht man für eine gute Ausstellung eine Baustelle”, hat er in einem Interview mit Christian Reeder einmal gesagt. Diese idealen Bedingungen hat er übrigens im Jahr 1990 im Museum für angewandte Kunst in Wien vorgefunden: das MAK war damals gerade im Umbau. Aber wenn die Plastiken von ihren Exkursionen in die Museen und Galerien dieser Welt wieder in ihre Häuser im Burgenland zurückkehren, dann weiss Walter Pichler, dass sie hierher - und nur hierher - am besten passen. „Es ist ja schwierig mit diesem Beruf. Ich liebe ihn über alles, aber wohin mit den Arbeiten? Für die Kirche könnte ich nicht arbeiten, für die Bank auch nicht. Und für den öffentlichen Raum will ich nicht. Es gibt keinen Platz, wo diese Objekte legitim hingehören. Man könnte es nur ‚nicht machen’; aber ich mach es so gern.” Es: das ist zeichnen, planen, skizzieren, Modelle bauen. Es: das ist aber auch löten, schleifen, nieten, polieren, schweres Handwerk, darauf will er am allerwenigsten verzichten: „Ich werde doch nicht das Vergnügen wem anderen überlassen. Ich zermartere mir den Kopf und wer anderer darf es bauen? Ich denke nicht daran!” Es: das ist schließlich auch die Baustelle, dieses feine soziale Getriebe, Menschen aus der Umgebung, mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, auf die er sich verlassen und mit denen er sich über technische Probleme unterhalten kann, die ihn und seine Projekte verstehen: „Weil ich gut vorbereitet bin, wenn ich zu bauen beginne. Ich habe den Plan. Ich habe die Leute. Und ich habe das Geld.”
Das Geld: früher gab es für jedes Projekt ein eigenes Sparbuch; ausgegeben werden durfte nur, was mit Zeichnungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Projekt verdient wurde. Eine kostenintensive Kunst - „aber ich wüsste nicht, wofür ich mein Geld lieber ausgeben würde.”
Bauen erscheint ihm nur im Zusammenhang mit seinen Skulpturen sinnvoll. Obwohl, zwei Ausnahmen hat er schon gemacht: das eine Mal für seinen Freund Michel Würthle, ein Steinhaus auf der griechischen Insel Syros. Geplant war es für Würthles Steinesammlung, aber es wäre schade um das spartanisch-schöne Haus, also wohnen jetzt Menschen drin und die Steine liegen nach wie vor im Freien. Das zweite Mal hat er ausserhalb seines burgenländischen Anwesens für seinen Cousin Walter Pichler gebaut: das „Haus neben der Schmiede” in Eggental in Südtirol; der Name ist Programm, das 56 Quadratmeter große, schlichte Ein-Raum-Haus steht neben der denkmalgeschützten Schmiede seines Großvaters, ist eher Skulptur als Haus - und mittlerweile Treffpunkt für die ganze Familie. „Ich habe ja mit Verwandtschaft nicht so viel am Hut. Aber diese Arbeit war das Verbindungsglied, das Mittel zur Annäherung an meine Wurzeln.”
Am 1. Oktober 1936 wurde Walter Pichler in Deutschnofen in Südtirol in eine Handwerkerfamilie hineingeboren; von klein an hielt er sich gern in der Werkstatt auf, fasziniert von der Atmosphäre, vom Handwerk; und früh hat er die Zeichnung als jenes Werk-Zeug begriffen, mit dem er arbeiten wollte: „Ich wundere mich immer über die Genies, die so viele Möglichkeiten haben; das habe ich nicht - aber Ich habe glücklicherweise das erwischt, wo ich am weitesten kommen kann”, sagt er. Und mit einem Lachen: „Ich wäre ein erbärmlicher Dichter und ein noch erbärmlicherer Musiker.” Auch unterrichten wollte er nie, zu viel Konkurrenzdenken, zu viel Administration, auch habe er gar keine Tendenzen zu einer „Pichler-Schule”; im Gegenteil, wenn er auf seinen Streifzügen durch die Museums- und Galerienszene gelungene Arbeiten sieht, die Künstler-Kollegen auf ganz andere Weise zustande gebracht haben, so freut es ihn. Nein, er hält seine Vorlesungen lieber in Kaffeehäusern - „aber gratis. Ich möchte nicht dafür gezahlt werden und keine Privilegien daraus ableiten können. Denn dann kann ich nicht mehr frei reden.” Freiheit in der Kunst und Unabhängigkeit im Leben: wichtigste Koordinaten im Pichler’schen Wertesystem.
Weil er Literatur schätzt und um künstlerisch unabhängig bleiben zu können, sich nicht Marktgesetzen beugen zu müssen, gestaltete Walter Pichler seit den 60er Jahren Buchumschläge für den Residenz-Verlag; mit den meisten österreichischen Autoren und Autorinnen ist Pichler befreundet, „die waren noch längst nicht fertig mit dem Text, als ich schon den Umschlag machen musste. Viele haben mir eine Stelle vorgelesen, die ihnen besonders wichtig war. Und ich hab dann dementsprechend die Umschläge entworfen.” Diese Verlags-Arbeit hat es Pichler seinerseits ermöglicht, sein eigenes Werk sorgfältig und lückenlos zu dokumentieren, in Projekt-Katalogen und, diese Projektkataloge zusammenfassend, in gebundenen Büchern, jedes einzelne an das vorherige anknüpfend, „da wurde nicht um Seiten gefeilscht oder über Geld geredet”. Fotografiert werden die meisten Objekte und Projekte von Pichlers Frau, der Architektur-Fotografin Elfi Tripamer . „Ich brauche ihre Art der Fotografie. Nicht nur, dass sie immer genau dann da ist, wenn etwas zu fotografieren ist. Wir diskutieren oft über die Fotografie - weil ich genau weiss, was ich will. Aber sie macht dann die Fotos, die sie will, ganz anders als meine Vorstellungen. Aber sie hat recht. Sie hat immer recht. Ihre Fotos sind besser als das, was ich machen wollte: weil sie die Distanz dazu hat. Meins ist Pflicht. Ihres ist Kür.”
Dass es gleich zu seiner ersten Ausstellung in Wien - übrigens 1963 in der Galerie nächst St. Stephan und übrigens gemeinsam mit Hans Hollein - einen Katalog gab, war ausschließlich Pichlers guten Beziehungen zum Residenz-Verlag zu verdanken. Damals, in den 60er Jahren, war er vor allem an der Bau-Kunst interessiert, in dünn strichigen Architektur-Zeichnungen entwickelte er gemeinsam mit Hollein und Raimund Abraham die “Visionary Architecture” , die 1967 im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt wurde; ein Jahr später wurde Pichler zur Documenta in Kassel eingeladen, zwischendurch lebte er in Paris, New York und Mexiko. Und 1982 vertrat er Österreich auf der Biennale in Venedig. Das 45Jahr-Jubiläum feierte Pichler noch mit dem Residenz-Verlag; als aber dessen langjähriger Lektor Jochen Jung im Jahr 2000 recht unschön aus dem Verlag entfernt wurde, da entfernte sich Pichler mit ihm: jetzt gestaltet er das exquisite Literatur- und Kunstprogramm für „Jung und Jung”; ja, und hier wird er nächstens wieder sein eigenes Werkbuch herausbringen, einen Band über die vergangenen 10 Jahre. Das Atelier in Wien ist zentrale Material-Sammelstelle. Gleichzeitig bereitet er in aller Sorgfalt seine Ausstellung in Innsbruck vor, keine Zufälligkeiten, keine Schlampereien. Da macht er keine Unterscheidung zwischen Museum in einer Kunstmetropole und Galerie in einer Landeshauptstadt. Gefährlich, sagt Walter Pichler, sei eigentlich nur die Routine; denn natürlich tendiere man dazu, das zu machen, was man schon immer gut kann. „Aber ich habe eine gute Methode, mich davor zu schützen”, sagt er, zieht an seiner Zigarette und lacht. „Ich habe viele Pichlers um mich herum stehen, die mir über die Schulter schauen.”
Samstag, 29 April, 2017 um 18:08
Grüß Gott. Ich bin per Zufall hier gelandet. Aber trotzdem möchte ich
ihnen ein Kommentar da lassen, da ich ihren Weblog enorm informierend finde.
Auch ihr Entwurf ist sehr Ansprechend.
Mit freundlichen Grüßen