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Mrz
LOKALAUGENSCHEIN TRASTEVERE
Ja was denn nun? Die einen seufzen, das Centro Storico sei überlaufen, eine riesige mulitnationale Besichtigungswoge schwappe täglich durch Rom, vom Forum Romanum übers Colosseum zur Spanischen Treppe, vom Pantheon zum Palatin, vom Trevi-Brunnen bis zum Vatikan, die einzige Ausnahme sei da gerade noch Trastevere. Falsch!, rufen die anderen , gerade und vor allem Trastevere sei doch so massentouristisch geworden, voller Menschen also wie Sie und ich, die den Tiber überqueren auf der Suche nach dem anderen Rom und im engen, winkeligen Gassengewirr das typische Flair des ehemaligen Arbeiter- und Künstlerviertels kaputt trampeln. Und wo sind wir Touristen nun wirklich? An diesem Vormittag jedenfalls nicht in Trastevere, das vom Vatikan-Bezirk übrigens nur durch ein Gefängnis getrennt ist - und durch den Gianicolo: dieser Hügel gehört zwar nicht zu den berühmten sieben, auf denen Rom erbaut ist. Aber er ist die auffälligste Erhebung der Ewigen Stadt. Typisch. So ist Trastevere: anders. „Noantri”-„Wir anderen” nennen sie denn auch ihr jährliches Volksfest, das am 15. Juli beginnt und nach zwei Wochen mit einem Riesenfeuerwerk endet.
Die Wäscheleinen vor den Fenstern erinnern an Neapel, die Graffitis an den verblichenen Hauswänden und die Künstlerlofts in den Nebenstraßen der Via Lungara an die Lower Eastside von New York. Ein paar alte Männer hocken auf wackeligen Stühlen vor einer kleinen, unscheinbaren Bar, trinken Kaffee und diskutieren übers Rauchverbot. Sie tun das nicht in noblem Römisch,sondern in Romanesco und statt des „l” sagen sie jedesmal ein „r”. Ein Priester eilt über den dornröschenverschlafenen Platz. Aus einer Kirche klingen leise Orgeltöne. „Buongiorno, Avvocato!”, ein Mofa knattert über das löchrige Kopfsteinpflaster. Ein paar Kinder rangeln auf dem Weg zur Schule, würdevoll spaziert ein altes Ehepaar vorbei und millimetergenau quetscht ein Lieferant seinen Klein-LKW durch eine hosenröhrenenge, mit Motorini vollgeparkte Gasse. Aus einem Fenster schiebt sich ein Besen, ein Kopf mit Lockenwicklern und energischer Stimme hinterher: „Luigi! Vieni qua!” Paare. Passanten. Sehr interessant: Trastevere - touristisch, aber ohne Touristen?
Seit 15 Jahren lebt die Österreicherin Nina Fürstenberg in Rom, genauer gesagt: in Trastevere. Und da will sie definitiv bleiben, Mitglied einer eingeschworenen Gemeinde: „Tagsüber tickt unser Viertel wirklich ganz anders als das restliche Rom. Trastevere ist wie ein Dorf, jeder kennt hier jeden”, schwärmt sie über die heimelige Idylle. Auch Massimo konstatiert diese dörfliche Stille. Aber die tägliche Ruhe vor dem abendlichen Ansturm stimmt ihn nicht froh. Massimo gehört die berühmteste Bäckerei des Viertels in der Via del Moro, weithin gerühmt für knuspriges Brot und köstlich belegte Pizzen aus dem Holzofen, für süßes Knabbergebäck und für Sachertorten, die fast besser schmecken als das Wiener Original.
„Unsere Nachbarschaft hat sich in den letzten 20 Jahren extrem verändert. Früher lebten hier vor allem Arbeiter, es gab viele kleine Handwerksbetriebe; Trastevere war das linke Widerstandsnest gegen Bourgeoisie und Aristokratie, gegen Kirchenherren und später gegen die Faschisten. Jetzt wohnen hier Freiberufler, Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten”, und deren Arbeitsstätten sind über ganz Rom verstreut, das Brot kaufen sie irgendwo, nur nicht mehr beim Bäcker im Viertel.
Um sieben Uhr früh sperrt Massimo auf, aber die Geschäfte florieren erst zwölf Stunden später, abends ab sieben. Denn dann kommen sie tatsächlich in Scharen: zuerst die - meist schwarzafrikanischen - Straßenhändler mit ihren gefälschten Handtaschen, Armbanduhren, Handtüchern, Halsketten, mit Tand und Kitsch aller Art; gefolgt von lebenslustigen Römern und abenteuerhungrigen Touristen; aus allen Ecken und Enden der Stadt strömen sie nach Trastevere zum Lokal-Augenschein, eine bunt gewürfelte, gut gelaunte Schicksalgemeinde ergießt sich in die kulinarische Hauptschlagader Via Lungaretta und verästelt sich in den Vicoli, den kleinen Nebengassen.
Dort, wo die Via Garibaldi auf die Via Lungara stößt, in einer kleinen Bar, treffen einander die Trastevere-Veteranen, die der hohen Mietpreise wegen an die Peripherie gezogen sind, und träumen von den guten alten Zeiten: „Früher hat es allein in der Via del Moro drei Lebensmittelläden gegeben, zwei Fleischereien und zwei Obsthändler. Daneben einen Tischler und weiter unten einen Tapezierer. Schau dich um. Jetzt gibt es nur mehr Restaurants. Überall Restaurants.” In der Tat scheint Trastevere der Bauch von Rom zu sein, mit hunderten Kneipen, bodenständigen Trattorien, Osterien, gehobenen Restaurants, Bars - und, natürlich, mittendrin so manche veritable Touristenfalle. Hohe Kosten für schlechte Kost? Nur nicht die gute Ausgehlaune verderben lassen, Rom ist schließlich Hauptstadt des „Menefregismo”, dieser zur Hochkultur verfeinerten kollektiven Wurschtigkeit.
Me ne frego! Pfeif drauf!, wenn der Wein schlecht war, wozu, bitteschön, gibt es denn Kopfwehpulver? Im Arzneien-Mischen hat Trastevere nämlich eine lange Tradition. 1650 gründeten die barfüßigen Karmeliter von Santa Maria della Scala eine Klosterapotheke, mehr als 200 Jahre lang züchteten die Mönche geheimnisvolle Kräuter und versorgten die Päpste und Kardinäle im benachbarten Vatikan mit Medikamenten. Erst vor knapp 30 Jahren wurde die klösterliche Alchimistenküche geschlossen. Tabletten für den akuten Bedarf gibt’s in der Apotheke im Stock drunter. Und sollten die nichts nützen, ist angeblich ist der schönste Platz zum Sterben sowieso in Trastevere, im Kloster Sant’Onofrio: dort nämlich, wo Torquato Tasso - nur einen Tag, ehe er auf dem Kapitol zum „Poeta Laureatus” gekrönt werden hätte sollen - am 25. April 1595 dahinschied. Der Blick von Tassos Grabdenkmal ist betörend schön auf Rom. Auf Trastevere, auf verschachtelte Häuser, von denen der Putz bröckelt, mit schäbigen Stiegenaufgängen und erstaunlichen Dachausbauten; auf kleine Straßen, die unversehens im üppigen Grün von Hinterhöfen enden, ein verwirrendes Labyrinth. Wer sich in Rom verlieren möchte, sollte sich nach Trastevere verirren. Und hier verlaufen. Aber nur keine Panik! Alle Wege…. Sie wissen schon……